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Abbruch um Mitternacht

Jahreshauptversammlung des Hamburger SV gerät außer Kontrolle

Hamburg (dpa). Aggressionen wie im Stadion, eine Hetzjagd auf Journalisten und Fotografen sowie eine fassungslose Führungsriege des Hamburger SV prägten eine in der deutschen Fußball-Geschichte beispiellose Mitgliederversammlung des Traditionsvereins.
Zum Teil angetrunkene Anhänger pöbelten von den Rängen des mit fast 1600 Mitgliedern gefüllten Saales im Hamburger Congress Centrum. Die Sitzung geriet mehrmals außer Kontrolle und wurde um Mitternacht endgültig zur Farce, als sie ohne Beschlüsse und Wahlen abgebrochen wurde. HSV-Idol Uwe Seeler sieht nach dem Eklat einen Imageschaden für die Hanseaten. »Mit Pöbeln und Schreien hat man noch nie etwas bewirkt«, sagte Seeler und forderte: »Dieser Imageverlust muss wieder gutgemacht werden.«
»Das Niveau war nicht einmal zweitligareif«, kritisierte der ehemalige HSV-Präsident Wolfgang Klein. Die Eskalation traf den Vorstand wie ein Schlag ins Gesicht: »Die Stimmung ist möglicherweise nicht repräsentativ für die Gesamtatmosphäre im Verein«, deutete der HSV-Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann vorsichtig an, dass die mächtige Gruppierung der »Supporters« unter den 45 000 Mitgliedern die Politik des strauchelnden Bundesliga-Gründungsmitglieds übernehmen möchte.
»Wir leben mit der Satzung, die wir haben und werden die Jahreshauptversammlung Anfang des Jahres als demokratischen Prozess fortsetzen«, sagte Hoffmann zu den Journalisten. Diese waren zu Beginn der Chaos-Veranstaltung per schriftlicher Abstimmung und mit Schmährufen aus dem Saal gescheucht worden.
Zwar versuchte Hoffmann mit dem Satz »Ich weiß, wir sind ein Verein, der eine Krise hat, aber ich hatte mir eigentlich vorgestellt, dass wir dokumentieren, dass wir kein Chaos-Club sind«, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Er wagte es jedoch nicht, sich vor die aufgebrachte Menge zu stellen und den Verbleib der Presse zu fordern. »Ohne Medien würde ein Spiel HSV - Nürnberg in Ottensen auf der Wiese stattfinden, mit 30 Zuschauern«, meinte Erich Laaser, Präsident des Verbandes Deutscher Sportjournalisten, zu dem einmaligen Vorfall in der 119-jährigen Geschichte des Clubs. »Wir haben doch nichts zu verbergen. Wir lassen uns auch feiern und müssen mit Niederlagen umgehen können«, betonte Uwe Seeler, der seit Jahren nicht an Mitgliederversammlungen teilnimmt.
Auch die positiven Nachrichten vom Rekordumsatz (103,9 Millionen Euro bei einem Gewinn von 1,86 Millionen) und der Reduzierung des Schuldenbergs auf 20,3 Millionen Euro konnten die erhitzten Gemüter beim gestrauchelten Champions-League-Teilnehmer nicht besänftigen. Hoffmann traute sich nicht einmal, die nur schriftlich dargelegten Zahlen zum Thema zu machen. Stattdessen räumten Hoffmann, Sportchef Dietmar Beiersdorfer und Aufsichtsratschef Udo Bandow gravierende Fehler in der Einkaufspolitik ein. Dem blassen und um Antworten ringenden Beiersdorfer wurde neben dem Verkauf von Daniel van Buyten und Khalid Boulahrouz die ablösefreie Abgabe von Sergej Barbarez vorgeworfen. Die Zukunft von Trainer Thomas Doll, der ebenso wie die Profis nicht erschien, war kein Thema für die aufgebrachten Anhänger.
Nach dieser für den HSV entwürdigenden Veranstaltung muss der Vorstand hoffen, dass es sportlich besser wird. Es ist zu spüren, dass Hoffmann und Beiersdorfer mit Doll weitermachen wollen. Doch der Vorstand benötigt schnell ein überzeugendes Konzept, um den Abstieg in die 2. Liga zu vermeiden - mit oder ohne Doll.

Artikel vom 13.12.2006