12.12.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Im Herbst des
Lebens zieht
der Frühling ein

Theater voller Witz und Charme

Von Kendra Taktak (Text und Foto)
Brackwede (WB). Alter schützt vor Liebe nicht: Wenn bei vier charaktervollen Senioren im Herbst des Lebens erneut Frühlingsgefühle erwachen, geht es turbulent zu. Herrlich anzusehen war am Sonntagabend die Komödie »Herbstzeitlose« mit Edith Hancke in einer der Hauptrollen. Das Publikum in der ausverkauften Brackweder Realschulaula erlebte ein Theaterstück voller Witz und Charme.

Leopold (Klaus Sonnenschein) würde vielleicht Tag für Tag zwischen »Das Beste für die dritten Zähne« und »Herzvital Forte« im Bademantel auf seinem Fernseh-Sofa versinken, wenn er nicht mit der quirligen Agnes (Edith Hancke) in einer Senioren-Wohngemeinschaft leben würde. Sie weiß schon, wie sie ihn aus der Reserve lockt: Nicht zufällig erwähnt sie die junge französische Gymnastiklehrerin beim Senioren-Sport, denn: »Das Auge turnt ja bekanntlich mit.«
Mit großem Vergnügen verfolgten die Zuschauer die pointiert geführten Dialoge: Sonnenschein spielt den schwerfälligen, aber gewitzten Stubenhocker, Hancke die sowohl liebenswerte als auch resolute ältere Dame von heute - das versierte Schauspielerpaar überzeugte in seinen Rollen vollends.
Dass ihr Mitbewohner Alexander (Gerhard Friedrich) mit weißem Seidenschal und blank polierten Schuhen nicht nur Enten im Park füttern geht, vermuten Leo und Agnes längst. Dementsprechend wenig überrascht sind sie, als er ihnen theatralisch mitteilt: »Liebe Mitbewohner, Freunde, Räuber, ich bin verliebt!« Streithahn Leopold lässt nichts unversucht, um seinen Wohnungsgenossen aufzuziehen: »Was sagt man eigentlich, wenn man jemanden beim Entenfüttern kennen lernen will: ÝEnten, die quaken, beißen nichtÜ oder ÝKeine Angst, die will nur spielenÜ?«
Für weitere Aufregung sorgen die Tatsachen, dass Alexanders Angebetete bald nicht nur ihren 70. Geburtstag, sondern zuvor auch noch goldene Hochzeit feiert. »Meint er etwa, dass das Mauerblümchen ohne seine Gießkanne vertrocknet?«, poltert Leo. Kein Wunder also, dass Alexander befürchtet, der Mitbewohner könne beim ersten gemeinsamen Kaffeetrinken ungehobelt auftreten: »Hoffentlich bohrt er nicht wieder mit seinem moralischen Zeigefinger in der Nase!«
Aber dann überschlagen sich die Ereignisse, denn Mimi (Karyn von Ostholt) erscheint in Tränen aufgelöst zur ersten Verabredung, berichtet vom Tod ihres Mannes im ehelichen Bett und gesteht nebenbei, drei von Alexanders »kleinen blauen Pillen« entwendet und in ihres Gatten Cocktail gemischt zu haben. »Gleich drei!«, ruft Alexander entgeistert aus, »Das ist die reinste Himmelfahrt!« - »Arsen?«, mutmaßt Leo mit kriminalistischem Scharfsinn. »Viagra!«, verbessert Alexander empört.
Friedrich als »blasierter älterer Herr mit Hang zur gesanglichen Selbstdarstellung« und von Ostholt in der Rolle der scheinheiligen Witwe ergänzten das originelle Figuren-Ensemble um zwei charmante, aber listige Charaktere.
Doch nicht genug, dass das WG-Leben ohnehin schon Kopf steht: Ein eleganter Herr, geschätzte 1,90 Meter groß, betritt die Szene und stellt sich mit schneidender Stimme vor: »Guten Tag, ich bin Klein.« Das Publikum lacht, bis er schließlich leicht pikiert ergänzt: »Hauptkommissar Klein.« Michael Schäfer spielt in bester Sherlock-Holmes-Manier den Inspektor, der mit viel sagenden Blicken brisante Hintergründe zum Tod von Mimis Gatten aufdeckt, während er die Wohnung inspiziert, penibel Bilder geraderückt und nach einigem Hin und Her eine Weintraube stibizt.
Der Kommissar ist davon überzeugt, dass Mimi ihren Ehemann vorsätzlich umgebracht hat - alle anderen glauben an ihre Unschuld. Doch warum ist gerade die Herbstzeitlose, ein hochgiftiges Liliengewächs, Mimis Lieblingsblume? Und hat sie nicht erst kürzlich ein Proseminar an der Universität über Heil-, Gewürz- und Giftpflanzen belegt?
Dem Autor Andreas Fritjof, sonst als Theater-, Film- und Fernseh-Schauspieler bekannt, ist mit »Herbstzeitlose« eine turbulente Komödie gelungen, deren Wortwitz das Publikum vom ersten bis zum letzten Satz schmunzeln und lachen lässt. Regisseur Frank-Lorenz Engel rundete das Zusammenspiel der brillanten Darsteller ab zu einem wunderbar vergnüglichen Theater-Genuss.
Für ihre schauspielerische Leistung in »Herbstzeitlose« wurden Edith Hancke und ihr Mann Klaus Sonnenschein in diesem Jahr mit dem »Goldenen Vorhang« des Berliner Theaterclubs geehrt - Edith Hancke hatte diese Auszeichnung zuvor bereits zwölfmal erhalten.
Schade, dass nicht alle Zuschauer in der Lage waren, die hervorragenden Schauspieler ungehindert anzusehen: Die »Seniorenwohnung« war nämlich keineswegs barrierefrei angelegt. Die Kulissen ragten so weit hervor, dass Zuschauer auf Randplätzen nur Teile der Bühne einsehen konnten.

Artikel vom 12.12.2006