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Auf den Spuren von Borghese und Hedin

Espelkamperin unter den Teilnehmern der »Mercedes-Challenge 2006« -ÊEtappe von Alma Ata nach Lanzhou

Von Bernhard Hertlein
Espelkamp/Lanzhou (WB). »Eigentlich«, sagt Birgit Friederike Haberbosch, »habe ich zwei Reisen gemacht.« Die eine führte sie in einem E-Klasse-Mercedes von Alma Ata bis weit nach China in die Industriestadt Lanzhou. »Die andere führte mich zu mir selbst.«

Gibt es das, dass Träume wirklich wahr werden? Seit der Einladung zur Teilnahme an der Auto-»Challenge« Paris -ÊPeking glaubt Haberbosch daran mehr denn je.
Ein Kinderbuch hat in ihr schon im Alter von zehn Jahren den Traum geweckt. Der Autor, Fritz Mühlenweg, hatte den schwedischen Geografen und Reiseschriftsteller Sven Hedin in den dreißiger Jahren auf dessen China-Reise begleitet. Jahre später schrieb er »Großer-Tiger und Christian«, die Geschichte eines chinesischen und eines deutschen Jungen. Ihre abenteuerliche Reise von Lanzhou bis zum russischen Yekaterinenburg beginnt damit, dass sich ihr Drachen in einem Eisenbahnzug verheddert. »Ich habe das Buch bestimmt zehn Mal gelesen«, berichtet Haberbosch.
Und tausend Mal hat sie wohl von einer Reise entlang der antiken Seidenstraße geträumt. Zuletzt geschah dies im Sommer 2006, als die Marketing-Chefin des Espelkamper Spielgeräte-Herstellers Gauselmann mit ihrem 15-jährigen Sohn Linus von Schanghai den Yangste-Fluss hinauffuhr. Beim Rückflug schaute sie durch die klare Luft wie gebannt auf die Äußere Mongolei: »Linus, da muss ich hin.«
Linus schmunzelte. Er kennt seine Mutter. Organisierte Touren sind nichts für sie. Und alleinreisende Touristen sind in diesem Teil Chinas noch so gut wie undenkbar. »Nichts ist unmöglich«, sagt Friederike Haberbosch. »Man muss nur lange und intensiv an etwas glauben.«
Ein Zeitungsbericht in der »Welt am Sonntag« stieß im August 2006 das Tor zur Traumreise weit auf. Mercedes, so las Haberbosch, plane 99 Jahre nach der Großtat Scipione Borgheses eine Erinnerungsfahrt auf dessen Spuren. Der Fürst organisierte 1907 mit Paris - Peking die erste transkontinentale Rally. Die neue Tour sollte die 14 000 Kilometer in umgekehrter Richtung und nicht als Rennen bewältigen.
Haberbosch machte sich sofort an die Bewerbung: »Ich wusste von Beginn an, dass ich dabei sein werde.« Sie behielt Recht -Êtrotz der 56 000 Konkurrenten. Als eine von zwei Frauen unter 66 Teilnehmern wurde sie für die vierte von fünf Etappen ausgewählt.
Es war die gewünschte Traumstrecke durch Chinas wilden Westen. Von der früheren kasachischen Hauptstadt Alma Ata ging es in einem Diesel-Fahrzeug der Mercedes E-Klasse in Zweier-Teams über die Grenze in die hauptsächlich von Uiguren bewohnte Provinz Xinjiang. Entlang des herrlichen Tian Shan (Himmelsgebirge) mit seinen schneebedeckten Gipfeln führte die Fahrt bald durch zwei Wüsten: die steinige Taklamakan und die Sandwüste Gobi. Schließlich tauchte in Jiayuguan die Chinesische Mauer auf. Endstation dieser Etappe war die 2000 Jahre alte Stadt Lanzhou am Gelben Fluss -Êheute eine Handels- und Industriemetropole. Lanzhou war das Ziel - und »die traurigste Stadt der gesamten Tour«, berichtet Haberbosch. Denn hier musste sie ihren Autoschlüssel abgegeben. Das neue Team fuhr die letzte Strecke bis in die Hauptstadt Peking, wo gerade die größte chinesische Autoshow eröffnet wurde.
Was bleibt, wenn ein großer Traum in Erfüllung ging? Leere? »Ganz im Gegenteil«, erklärt Haberbosch. Nun sei der Kopf voller wunderschöner Erinnerungen. Die touristischen Höhepunkte spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Wichtiger sind die Begegnungen mit Einheimischen, die Beobachtungen am Straßenrand. Eingeprägt hat sich beispielsweise das Bild einer Kamelkarawane irgendwo in der Wüste. Die Hirten strahlten eine solche Selbstgewissheit und Gelassenheit, einen solchen Stolz und Freundlichkeit aus, dass die Mercedes-Fahrerin aus Deutschland sich »richtig klein« vorkam. Weitab vom Alltagsstress in der Heimat, ohne das »Gedudel« eines Autoradios, hatte sie viel Zeit zum Nachdenken. Zum Beispiel die Frage: Was braucht der Mensch?
Haberbosch: »Viele, die ich außerhalb des Teilnehmerkreises an der Mercedes-Tour getroffen habe, strahlten einen inneren Reichtum aus, der wenig mit unserem materiellen Reichtum gemeinsam hat.«
Am neugierigsten waren stets die Kinder. Auch das hat sie beeindruckt - und nebenbei an ihre Kindheitslektüre »Großer Tiger und Christian« erinnert.
Die Tour wirkt auch noch in anderer Weise in den Alltag hinein. Haberbosch und mehrere Fahrer aus dem internationalen Teilnehmerkreis schreiben sich fast täglich E-Mails: »So eine Tour schweißt einfach zusammen.«

Artikel vom 13.12.2006