12.12.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Langes Ringen um Türkei-Kurs

EU-Staaten einigen sich auf verlangsamte Beitrittsgespräche in acht Bereichen

Brüssel (dpa/Reuters). Die EU-Außenminister haben sich gestern nach langem Ringen auf die Aussetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in acht von 35 Verhandlungsbereichen geeinigt.
Mit dem Kompromiss nach stundenlangen Debatten in Brüssel wendeten sie einen drohenden Streit beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag ab.
Nach Angaben der österreichischen Außenministerin Ursula Plassnik vereinbarten die Minister, über acht Kernbereiche der Beitrittsgespräche zunächst nicht mehr mit Ankara zu verhandeln.
»Diese acht Bereiche gehen erst einmal in den Tiefkühler.« Auch in der am meisten umstrittenen Frage einer Revisionsklausel wurde schließlich eine Einigungsformel gefunden. Griechenland und Zypern konnten eine 18-Monats-Frist, die sie der Türkei geben wollten, nicht durchsetzen.
Stattdessen soll die Entwicklung in der Krise nun in den drei Jahren 2007, 2008 und 2009 jeweils auf Grundlage der ohnehin erstellten Fortschrittsberichte der Kommission überprüft werden.
Mit der teilweisen Aussetzung der Verhandlungen soll die Türkei dazu gebracht werden, ihre Häfen und Flughäfen auch für Transporte aus dem EU-Staat Zypern zu öffnen. Dazu ist Ankara nach Auffassung der EU verpflichtet. Die Türkei verlangt hingegen eine Aufhebung der internationalen Isolierung des türkisch besetzten Nordteils der Insel Zypern.
»Dies ist eine kluge und vernünftige Entscheidung. Dies ist eine massive Entschleunigung und Atempause der Verhandlungen«, sagte die österreichische Ministerin. »Wir haben eine Türkei-Krise auf dem EU-Gipfel abgewendet und einen Konsens gefunden, wie die Lage zu bewerten ist.« Plassnik sagte, es sei nicht darum gegangen, der Türkei ein Ultimatum zu setzen. »Es muss klar sein, dass es keinen Rabatt bei der Umsetzung der Verpflichtungen geben kann.«
Großbritannien und Madrid hatten zuvor versucht, die Zahl der Verhandlungsbereiche zu verringern. Die Niederlande, Österreich und Griechenland hatten stattdessen noch mehr Bereiche gefordert, in denen nicht mehr verhandelt werden dürfe.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte zuvor davor gewarnt, die Brücken zur Türkei abzubrechen.
»Die Annäherung der Türkei an Europa, die Einbeziehung der Türkei in den europäischen Wertekanon, ist ein Projekt von ganz herausragender Bedeutung«, sagte er. »Was in langen Jahren gewachsen ist, sollten wir nicht in wenigen Tagen zerstören.«
Als schwieriger als der Umfang der einzufrierenden Verhandlungen erwies sich bei der Außenministerkonferenz die politisch heikle Frage einer neuen Frist an die Türkei, wie sie ursprünglich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gefordert hatte. Steinmeier habe diese Forderung in den Verhandlungen nicht mehr vertreten, sagten mehrere Diplomaten. In den Tagen zuvor war Merkel davon bereits teilweise abgerückt
Der türkische Außenminister Abdullah Gül warnte die EU erneut davor, von der Türkei Vorleistungen zu verlangen. »Die Türkei zum einseitigen Erfüllen von Bedingungen zu drängen, während andere ihre Verpflichtungen ignorieren, riskiert den Prozess zum Entgleisen zu bringen«, betonte er.
In Berlin bemühten sich die Koalitionspartner, den Eindruck eines Streits zwischen Steinmeier und Merkel über den Kurs in der Türkei-Frage drei Wochen vor dem Start der mit großen Erwartungen begleiteten deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu verwischen.
Regierungssprecher Thomas Steg sagte, die Bundeskanzlerin habe sich nicht von den Warnungen Steinmeiers vor falschen Signalen an die Türkei angesprochen gefühlt. Es gebe eine »große Übereinstimmung und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier«, sagte Steg weiter.Seite 4: Kommentar

Artikel vom 12.12.2006