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Isabel Allende

»Meine Gedanken sind bei meinem Vater sowie allen, die verschwanden, gefoltert und ermordet wurden«.

Leitartikel
Taten nie gesühnt

Was Pinochet und Botha verbindet


Von Reinhard Brockmann
»Auch Sie werden eines Tages vor Ihren Schöpfer treten und Zeugnis ablegen müssen.«
Diesen mutigen Satz hat Norbert Blüm sowohl dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet, als auch dem südafrikanischen Staatspräsidenten Pieter Wilhelm Botha ins Gesicht gesagt - und zwar zu deren Amtszeiten Ende der 80er Jahre.
Von beiden Begegnungen gibt es lediglich das Gedächtnisprotokoll, das Helmut Kohls treuester Minister nach den Gesprächen selbst anfertigte. Es lohnt, die Dokumente nachzulesen - gerade in diesem Spätherbst 2006, in dem Pinochet (91) wie Botha (90) stur von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt friedlich aus dem Leben geschieden sind.
3500 Todesopfer in Chile und eine unbekannte Zahl gemeuchelter Apartheid-Gegner am Kap stehen auf der dunklen Seite dieser zwei Lebensbilanzen. Pinochet meinte der Freiheit zu dienen und ein weiteres Kuba zu verhindern. Botha glaubte zwar nicht wirklich an die angebliche Überlegenheit der weißen Rasse, machte aber genau eine solche menschenverachtende Politik. Kernvorwurf: Er ließ dem Geheimdienst SSC absolut freie Hand.
Allende hatte 1970 den Christdemokraten Eduardo Frei bei geheimen und demokratischen Wahlen abgelöst. Bis zum Putsch der Ultras 1973 war der Marxist der erste demokratisch gewählte Staatschef Lateinamerikas, das damals auf eine gut 100-jährige demokratische Tradition zurückblicken konnte. Es folgten Militärjuntas unter anderem auch in Argentinien und Uruguay.
Allendes Staatsführung war in der Tat radikal, führte zum Generalstreik der Transportunternehmer und sah Enteignungen im großen Stil vor. Das alles rechtfertigt aber weder tausende politische Morde (nach dem Putsch!) noch bestialische Folter und auch nicht die persönliche Bereicherung der Pinochet-Clique. Dies wurde erst jüngst bekannt und verbitterte selbst alte Getreue.
So gespalten wie sich Santiago de Chile in diese Tagen der Trauer und des Jubels darstellt, war zu Zeiten des kalten Krieges auch das Urteil der Deutschen über Chile. Allendes Weg begeisterte die politische Linke in der Bundesrepublik und den Honecker-Staat sowieso. Bürgerliche Kreise im Westen irritierte die Entrüstung über die Verbrechen des Pinochet-Regimes wie dessen Unterstützung durch Deutschlands Schutzmacht USA.
Franz Josef Strauß als Exponent des konservativen Deutschlands scheute in dieser Phase nicht vor Kontakten (und Geschäften mit Chile wie Südafrika) zurück. Blüms eingangs dargestellter deutlich distanzierterer Kurs zeigt den ganzen Zwiespalt auf.
Nach dem Ende des kommunistischen Weltmachtanspruches wird vieles neu bewertet. Aus heutiger Sicht erweist es sich als richtig, allein die Menschenrechte zum Maßstab für Regierungshandeln zu machen.
Was bleibt? Pinochet wie Botha haben ihre Taten zu Lebzeiten nie gesühnt - und glauben beide an eine höhere Gerechtigkeit.

Artikel vom 12.12.2006