11.12.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Patienten im
Stich gelassen

54 Tote nach russischen Klinikbränden

Moskau (dpa). Der Tod von 45 Frauen beim Brand einer geschlossenen Suchtklinik schockiert ganz Moskau. Die Patientinnen hatten bei dem Drama in der Nacht zum Samstag keine Chance, weil das Personal sie im Stich ließ.

Notausgänge und Fenster waren nach Behördenangaben verriegelt. Die Hiobsbotschaften über Krankenhausbrände in Russland rissen das ganze Wochenende nicht ab. In Sibirien nahe der Stadt Kemerowo starben gestern neun Patienten im Feuer, 15 wurden verletzt. Allein beim Brand einer Heilanstalt bei Twer konnten am Samstag alle gut 300 Patienten aus dem Gebäude gerettet werden.
»Derartige Tragödien kommen bei uns viel zu häufig vor«, beklagte der russische Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin. »Was immer bei uns gebaut wird, eine Klinik, eine Heilanstalt, verwandelt sich bald in ein Gefängnis.« Für Moskau war es eine weitere schlimme Feuertragödie nach dem Tod von 44 ausländischen Studenten in einem Wohnheim 2003.
Als Ursache für das Feuer in der Suchtklinik Nr. 17 vermuteten die Behörden Brandstiftung. »Es könnte sein, dass eine Süchtige im Speiseraum eine Flüssigkeit entzündet hat, weil die Ärzte ihr Drogen verweigerten«, sagte ein Ermittler. »Die Frau litt unter starken Entzugserscheinungen.«
Der Brand war am frühen Samstag gegen 1.40 Uhr im Speiseraum in der zweiten Etage des achtstöckigen Gebäudes ausgebrochen. Die Flammen setzten sofort giftige Dämpfe aus dem Plastiküberzug der Wände frei, an denen die meisten Patientinnen erstickten. Zwei der Todesopfer seien Krankenschwestern, sagte der Vize-Zivilschutzminister Alexander Tschuprijan. Das übrige Personal der Frauenabteilung sei nach dem Feueralarm geflohen. »Es gab nur einen Notausgang, der andere war verschlossen, so dass die Patientinnen das Gebäude nicht verlassen konnte.« Auch durch die vergitterten Fenster konnten die Verzweifelten nicht fliehen. Die Angestellten hätten »nicht ganz angemessen gehandelt«, sagte Tschuprijan. Aus anderen Abteilungen konnten mehr als 100 Menschen gerettet werden.
Der Moskauer Staatsanwalt Juri Sjomin leitete eine Strafsache wegen des Verdachts auf Brandstiftung ein. Ein zweites Verfahren wegen Brandschutzverstößen mit Todesfolge richtete sich gegen die Suchtklinik.
Die Brandschutzbehörde hatte in dem Krankenhaus im März schwere Sicherheitsmängel festgestellt und sogar die Schließung der städtischen Einrichtung beantragt. Schon damals habe das Personal die Schlösser an den Fenstern nicht öffnen können, sagte der Chef der Moskauer Brandschützer, Viktor Klimkin. Ein Gericht habe es jedoch bei einer Verwarnung für die Klinikleitung belassen.
Auch bei dem Feuer in einer psycho-neurologischen Heilanstalt in der Stadt Taiga bei Kemerowo in Sibirien gingen die Behörden gestern von Brandstiftung aus. Nach Angaben des Zivilschutzes alarmierte das Personal der Klinik erst gut eine Stunde nach Ausbruch des Brandes die Feuerwehr.

Artikel vom 11.12.2006