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Wort zum Sonntag

Von Pfarrer em. Hans-Jürgen Feldmann


Ursprünglich ist der Sinn des Advents (von lateinisch adventus: Ankunft) der einer ernsten und stillen Vorbereitungszeit. Denn es geht um das Kommen Jesu Christi. Mit dem inzwischen üblich gewordenen vorweihnachtlichen Treiben hat das freilich fast nichts mehr zu tun und steht teilweise sogar in krassem Gegensatz dazu. Aber selbst manchen Kirchengemeinden ist das Gespür für solche Unterschiede längst abhanden gekommen. Möchte etwa ein weltlicher Chor sein Adventskonzert in einem Kirchenraum geben und verlangt dazu wie selbstverständlich auch einen Weihnachtsbaum im vollen Lichterglanz, so stößt er damit bei den Verantwortlichen kaum noch auf Widerstand. Sogar bei ihnen verfehlen geistliche Gesichtspunkte ihre Wirkung. Sie werden vielfach nicht einmal mehr verstanden. Was den Leuten gefällt und was sie schön finden, scheint von vornherein das stärkere Argument zu sein, dem zu widersprechen oftmals vergebliche Liebesmühe ist.
Daß der Advent jedoch etwas anderes ist als ein um Wochen verlängertes Weihnachtsfest, macht insbesondere der zweite der vier Adventssonntage deutlich. Dieser variiert das Thema in charakteristischer Weise. Er fordert nämlich nicht dazu auf, sich auf die Ankunft Jesu bei seiner Geburt einzustellen, sondern faßt seine zweite Ankunft, seine Wiederkunft am Ende der Zeit, ins Auge.
Diese Botschaft erzeugt und beflügelt keine vorweihnachtliche Stimmung, sondern sie ernüchtert. Sie geht nämlich davon aus, daß alles in dieser Welt vergänglich ist und keinen Bestand hat. Allerdings liegt ihr nicht der Gedanke der Vergänglichkeit als solcher am Herzen. Vielmehr blickt sie weit darüber hinaus und schaut in einer Vision auf das Ziel aller Dinge. Sie will nämlich nicht drohen und ängstigen, sondern trösten und aufrichten. Der Spruch für die zweite Adventswoche lauter daher: »Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht« (Luk. 21, 28).
Es gibt so viel Unerlöstes in der Weltgeschichte, so viel Sinnloses, so viel Blutvergießen, das eigentlich niemand zu verstehen vermag und dessen Ursachen doch wohl in der dunklen Natur des Menschen liegen. Aus unerfindlichen Gründen läßt Gott dies alles zu und gebietet ihm keinen Einhalt. Wer kann und will das begreifen? Aber auch im persönlichen Lebensschicksal des einzelnen Menschen ist es manchmal nicht anders. Dieses verläuft nicht immer nach einsehbaren Modellen und in klaren Strukturen. Mancher leidet an der Uneinsichtigkeit des Daseins. Nicht nur die sogenannten Schicksalsschläge geben ihm zu tragen. Sondern das große Warum steht im Raum und bleibt ohne Antwort.
Der zweite Adventssonntag aber bezeugt, daß dies - allem Augenschein zum Trotz - nur Teilwahrheiten sind. Weil Gott in Jesus Christus seinen Fuß auf diese Erde gesetzt hat, soll und muß alles gut werden. Wer jedoch auf die Frage, wann das sein wird, eine kalendarische Antwort erwartet, begibt sich auf den Holzweg und fragt an der Sache vorbei. Der »Jüngste Tag«, von dem der Glaube spricht, ist nämlich keine zeitliche Größe und kein Termin, der irgendwann (in der Zukunft) zu erwarten ist.
»Leben« im Sprachgebrauch der Bibel umfaßt aber mehr als die Jahre und Jahrzehnte eines Menschen in dieser Welt. Es hat eine zeitliche und eine ewige Dimension. Der Tod nämlich ist für Gott keine Grenze seines Handelns und seiner Liebe. Gott ist der souveräne Herr, der auch der Zerstörung, Ungerechtigkeit und Sinnlosigkeit Einhalt gebietet. Selbst wenn es so aussehen mag, als triumphierten die Mächte der Bosheit, sind sie in Wirklichkeit schon gerichtet.
Alles läuft auf Erlösung und damit auch auf die Lösung aller Lebensfragen und -rätsel zu. Denn es geht Gott nichts verloren von dem, was er geschaffen und geliebt hat. Dafür steht Christus als Garant. Das ist die Botschaft des zweiten Adventssonntags, und die brauchen wir heute vielleicht nötiger denn je.

Artikel vom 09.12.2006