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Heinz Buschkowsky, SPD-Bürgermeister in Neukölln

»Ohne einen zweiten und dritten Arbeitsmarkt wird Integration nicht funktionieren.«

Leitartikel
Das Integrations-Problem

Bildung für
Migranten -
hochdringlich


Von Andreas Schnadwinkel
Geht es in den Sonntagsreden der Politiker um die Integration von Migranten in die Gesellschaft, ist stets von Bildung die Rede.
Doch was passiert montags nach den großen Worten? Wenig bis nichts.
Junge Zuwanderer werden unzureichend auf den Arbeitsmarkt vorbereitet, Hartz IV ist das Ziel vieler, einige driften in die Kriminalität ab. Politik, Staat und Behörden versagen auf einem Feld, von dem kurzfristig die innere Sicherheit und mittelfristig das Schicksal Deutschlands abhängt.
In der Armuts- und Unterschichten-Debatte klingen Schlagzeilen wie »Migranten stark von Armut bedroht« wie Forderungen nach noch höheren Transferzahlungen ohne Gegenleistung.
Das wäre aber der falsche Weg. Da laut einer aktuellen Analyse 43 Prozent der türkischstämmigen Migranten unter 30 Jahren keine Berufsausbildung haben, kann es nur zwei Lösungen geben, die eng zusammenhängen: Bildung und Beschäftigung.
Ohne eine sinnvolle Tätigkeit kann eine Integration speziell von muslimischen Männern zwischen 15 und 35 Jahren in die westlichen Zivilisationen nicht gelingen. Ungebildete und antriebsschwache Ausländer fühlen sich in den europäischen Gesellschaften nicht nur überflüssig, sie sind es weitgehend auch.
Man muss gar nicht bis in die französischen Banlieus gehen, um die Entwicklung in den Großstädten mit großer Besorgnis zu sehen: In Berlin-Kreuzberg gilt die Wrangelstraße als »gekippt«, der Ausländeranteil liegt bei mehr als der Hälfte, von »Restdeutschen« ist dort die Rede.
»Deutschland entdeckt seine Gettos«, hieß es vor kurzem sinnfällig in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. Und in der Tat gibt es Viertel, aus denen sich Familien der Mittelschicht zu- rückziehen - wegen der Überfremdung und des negativen Umfeldes. Selbst in Bielefeld, wo sich zuletzt in diesem Herbst Raubüberfälle in der Innenstadt auffällig häuften, ist mittlerweile von »No-Go-Areas« die Rede, von Straßen und Quartieren, die man vor allem nachts besser meiden sollte.
Um die Amerikanisierung der Innenstädte (die arbeitende Mittelschicht zieht weg, die ethnisch-soziale Unterschicht bleibt) zu verhindern, werden Projekte wie »Ab in die Mitte« erfunden - damit die soziale Kontrolle im Stadtzentrum halbwegs funktioniert.
Als es für gering-qualifizierte Gastarbeiter in der jungen Bundesrepublik Industrie-Jobs gab, lernten sie am Produktionsband von Kollegen die deutsche Sprache. Heute haben sich die Arbeitsmärkte so stark gewandelt, dass Beschäftigung für Menschen ohne Ausbildung bei uns praktisch nicht mehr vorhanden ist.
Um junge Migranten an den Arbeitsalltag heranzuführen und ihnen eine Chance zu geben, ein akzeptierter und aktiver Teil der Gesellschaft zu sein, braucht es einen dritten oder gar vierten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt auf Niedriglohn-Niveau. Dagegen dürften nicht einmal die Gewerkschaften Einwände haben.

Artikel vom 19.12.2006