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Polizei jagt Trittbrettfahrer

Festnahmen und Verhöre nach angedrohten Amokläufen an Schulen

Offenburg/Marsberg (dpa/WB). Einen Tag nach Beginn der Großfahndung nach einem möglichen Amokläufer in Baden-Württemberg hielten gestern Trittbrettfahrer in ganz Deutschland die Polizei in Atem. Polizei-Beamte sichern die Real- und Hauptschule im baden-württembergischen Ichenheim.
Die Ermittler hatten weiter keine heiße Spur zu dem Unbekannten, der im Internet für den Nikolaustag einen Amoklauf an einer Schule angedroht hatte. Der 18-jährige Schüler, der am Mittwoch im Zentrum der Ermittlungen gestanden hatte und nach seinem mutmaßlichen Selbstmord erschossen aufgefunden wurde, war nicht Verfasser der Drohung.
In ganz Deutschland musste die Polizei wegen Drohungen von Trittbrettfahrern ausrücken. Im Ortenaukreis (Baden-Württemberg) nahm die Polizei drei Männer im Alter zwischen 19 und 35 Jahren fest. Einer von ihnen gestand, per E-Mail am Mittwochabend einen Überfall auf eine Schule angekündigt zu haben.
Ein 20-Jähriger kündigte im sächsischen Döbeln nach einem Schulverweis telefonisch bei der Polizei die Sprengung seiner Schule an und wurde seither vermisst. Im sauerländischen Marsberg wurde ein 16-Jähriger vorübergehend festgenommen, nachdem er im Internet Amokpläne angedeutet hatte. Ein 21-Jähriger hatte im Internet einen Amoklauf an seiner ehemaligen Arbeitsstätte in München angekündigt. Die zuständige Mordkomission konnte ihn gerade noch vor der Tat abfangen. Nach Polizeiangaben hatte der Mann noch keine konkreten Tatvorbereitungen getroffen. Der Mann habe jede echte Tatabsicht bestritten. Weitere Vorfälle gab es in Köln, Saarbrücken, Freudenberg, Ludwigsburg und Frankfurt am Main.
NRW-Schulministerin Barbara Sommer (CDU) wandte sich an alle Lehrer im Land: »Nehmen Sie Hinweise bitte ernst und wenden Sie sich an die Polizei.« Innenminister Ingo Wolf (FDP): »Es geht nicht um Denunziation oder petzen. Im Gegenteil: Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens.«
Am Dienstag war bekannt geworden, dass ein Unbekannter für den Nikolaustag einen Amoklauf angedroht hatte. Daraufhin hatte das Kultusministerium die Schulen im Südwesten gewarnt. Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Josef Schneider, kritisierte: »Ich kann einen möglichen Täter nicht so warnen. Wenn der das vorhat, dann kann er das jetzt noch machen.« In Baden-Württemberg waren gestern 3700 Polizisten an Schulen im Einsatz.
Zustimmung zur öffentlichen Warnung kommt vom Bielefelder Bildungsforscher Dr. Uwe Bittlingmayer. »Das Verhalten der Behörden war notwendig, um Schlimmeres zu vermeiden.« Es gebe auch keinen Anlass zur Panik. Die Zahl der Gewalttaten an Schulen sei seit den 70er Jahren nicht deutlich gestiegen.
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Artikel vom 08.12.2006