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Prof. Dr. Angela Brand von der Fachhochschule Bielefeld

Bei Gesundheitsvorsorge
Genetik berücksichtigen

Einmalige Institution an der Fachhochschue Bielefeld

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Olivenöl zählt zu den ausgesprochen gesunden pflanzlichen Ölen. Bei ganz wenigen Frauen mit entsprechender Veranlagung aber erhöht es das Brustkrebsrisiko. Und wenn der Gynäkologe eine Frau nach Mammakarzinomen in der Familie fragt, um ihr persönliches Risiko abschätzen zu können, fragt er zu kurz: »Man müsste auch nach Fällen von Prostatakrebs oder Schizophrenie in der Familie fragen«, sagt Prof. Dr. Angela Brand.

Die Wissenschaftlerin hat just an der Fachhochschule Bielefeld (FH) eine bundesweit einmalige Institution mit sperrigem Namen, aber Zukunft, etabliert: Sie leitet das »Deutsche Zentrum für Public Health Genomics«. »Unser Ziel ist, in die Gesundheitsversorgung das genombasierte Wissen zu integrieren.« Biologische, soziale und Umweltfaktoren würden heute berücksichtigt, sagt Brand. Die Genetik aber, das Wissen um genetische Varianten und Zusammenhänge eben nicht.
»Standard ist heute, dass jedes Individuum gleich behandelt wird.« Das aber ist nicht der neueste Stand. »Nehmen wir das Beispiel der Masernimpfung. Wir benötigen heute eine hohe Durchimpfungsrate, damit wir keine Epidemien haben. Aber es gibt einen Prozentsatz - er liegt etwa bei zehn - von Kindern, die ohnehin nicht anfällig sind und nicht als Überträger in Frage kommen.« Für diese Untergruppe habe die Impfung keinen Nutzen - nicht individuell und auch nicht zwecks Ausrottung der Masern.
Langfristig, ist die Kinderärztin, die in Baltimore, USA, Public Health studierte, das Hamburger Gesundheitsamt leitete und seit 2003 an der FH Bielefeld Sozialmedizin und Public Health lehrt, überzeugt, werde man nicht darum herumkommen, Jedermann zu testen, wenn man moderne Medizin wolle. »Derzeit kostet ein individuelles Genomprofil 300 Euro. Es ist schon bedeutend günstiger geworden - und wird noch preiswerter werden.«
Auch wenn Angela Brand einen Missbrauch zum Beispiel durch Arbeitgeber oder Krankenkassen, die die Risiken ihrer Mitarbeiter oder Versicherten kennen möchten nicht sieht (»Die werden doch ohnehin schon abgefragt!«), legt sie Wert darauf, dass ein Gen-Profil freiwillig erfolgen müsse. »Es gibt ein Recht auf Wissen und auf Nicht-Wissen.«
Denn so wie es Erkrankungen gibt, bei denen es mehr als sinnvoll ist, das Risiko zu kennen, gibt es andere, bei denen dieses Wissen nichts nützt. »Das Brustkrebs-Risiko zu kennen, kann das Leben retten. Bei Krankheiten ohne Therapie kann das Wissen belastend sein. Das muss jeder für sich entscheiden.« Immerhin aber könne es für Patienten, bei denen nach der Ursache ihres Leidens bislang vergebens gefahndet wurde, eine Erleichterung sein, endlich eine Diagnose zu haben.
Brand geht davon aus, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die Industrie das Angebot von individuellen DNA-Chips macht. »Ein Neugeborenen-Screening haben wir schon längst, routinemäßig wird bei allen Säuglingen nach angeborenen Stoffwechsel-Störungen gefahndet. Ebenso könnte man auf andere, auch seltene Erkrankungen testen.« Ein genaues Hinschauen, so die Wissenschaftlerin, lohne sich durchaus: »Gleichen Symptomen können unterschiedliche Erkrankungen zugrundeliegen. Und Diabetes ist nicht gleich Diabetes.« Und verlangt dann logischerweise eine andere Therapie.
»Neu ist auch unser Wissen über so genannte 'Disease Cluster', über Erkrankungen, die miteinander zusammenhängen.« Das sind Brust- und Prostatakrebs, der Tumor der Eierstöcke, das multiple Myolom - und eben auch Schizophrenie. Ebenso aber gibt es den Zusammenhang von Non Hodgkin (Lymphdrüsenkrebs) mit Asthma. »Darauf sind wir in unserem Gesundheitssytem nicht eingestellt. Es gibt immer Zentren für irgendetwas. Krankheiten müssen aber im Zusammenhang betrachtet werden.«
Und noch mehr hat die Genomforschung gelehrt: Es gibt genetische Varianten, die bei dem einen Menschen das Risiko einer bestimmten Krankheit erhöhen - während sie den anderen genau davor schützen. All dieses Wissen nicht in das Gendiagnostikgesetz einzubauen, so Brand, würde Wege verbauen. Auch deshalb suchen sie und ihre Kollegen das Gespräch mit Politikern und bauen europaweite Netzwerke. »Nur als kritische Masse werden wir gehört.« Und so selbstverständlich, wie soziale Faktoren in der Gesundheitsversorgung berücksdichtigt würden, so selbstverständlich, wünscht sie sich, sollte auch Wissen über das menschliche Genom einfließen.

Artikel vom 08.12.2006