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Alberto Moravia

»Vernunft -
das ist so etwas wie ansteckende
Gesundheit.«

Leitartikel
Hü-hott-Geschäft Politik

Nicht nur Paffer sind jetzt baff


Von Rolf Dressler
Der Politik im allgemeinen oder zumindest einzelnen ihrer Veranstalter mangelt es ja durchaus nicht an Unterhaltungswert. Doch leider schlägt solcherart vermeintliche Publikumsbelustigung oft in ihr Gegenteil um.
Just an diesem Freitag ereilte den (schon kaum mehr erstaunten) deutschen Durchschnittsmichel die nächste Vollblamage. Piff, paff! schallte es durchs Land. Und: April, April! Mit dem flächendeckenden Rauchverbot wird es so leider, leider nichts!
Denn bedauerlicherweise hatte »man« doch glattweg übersehen, dass der Bund in dieser Sache keineswegs all das großmächtig von ganz hoch droben verfügen kann, was er nur zu gern hätte verfügen wollen: die gestrenge Rote Karte für jedwedes Paffen und Qualmen in Behörden, Schulen, Kindergärten, Restaurants, Diskotheken, und, und, und. Kurzum, im sogenannten öffentlichen Raum, (fast) überall dort also, wo der Nikotin-Dunst auch den Nichtrauchenden, vom Baby bis zum Greis, gehörig auf Geist, Lunge, Herz und Kreislauf schlägt.
Warum um des Himmels willen hat noch vor Wochenfrist kein einziger derer, die vom Fach sind und es wissen müssten, die Rauchverbotstrompeter gebremst und energisch zur Besinnung gerufen? Zuallererst hätten doch unsere Volksvertreter darauf aufmerksam machen müssen, dass die Bundesländer von verfassungswegen ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Stattdessen überschlugen sie sich geradezu in wildem Verbieter-Populismus.
Derlei unausgegorene Hyperaktivitäten tragen gleich zweierlei Makel in sich. Sie binden und verschleißen Menschen und Kräfte, die anderwärts dringlich gebraucht würden; mithin sind sie kontraproduktiv und völlig überflüssig.
Dazu gleich noch ein zweites, ebenfalls taufrisches Beispiel: Kaum hatte Ulla Schmidts Bundesgesundheitsminsterium verkündet, dass die Patienten zur Entlastung der Staatsfinanzen künftig jährlich 100 Millionen Euro zusätzlich zu den Fahrtkosten der Rettungsdienste und Krankentransporte der Kommunen bei- steuern müssten, da hieß es, oh Wunder, aus demselben Hause, niemand denke daran, eine solche Extragebühr zu erheben.
Aber nicht nur unsortiertes Hü und Hott dieser Art nervt und frustriert sogar (immer noch) wohlmeinende Bürger. So liefert man sich zwar diverse »Du, du, du«-Scharmützel mit der Türkei, verhandelt über deren EU-Beitritt in Wahrheit aber schon gar nicht mehr wirklich »ergebnisoffen«, wie offiziell stereotyp beteuert wird.
Sinnfälliger Thementitel eines Forums der Kulturstiftung des Bundes am 5. Dezember 2006 in Berlin: »Bauplan Europa - Niemand wird sie stoppen können«. Wobei mit dem »sie« offenkundig beide gemeint waren: die Polit-Architekten, die das neue Europa noch deutlich erweitern und vergrößern möchten, und die Beitrittsländer auf der Schwelle, vor- an die Türkei, die als Vollmitglied schon sehr bald an die Machtspitze der EU aufsteigen würde.
Rettungsdienstler sind vielerorten vonnöten. Und kühle Köpfe.

Artikel vom 09.12.2006