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Dem Irak droht blankes Chaos

Baker-Kommission: USA sollen verhandeln und Truppenabzug vorbereiten

Washington (Reuters). Mit einer diplomatischen Offensive sollen die USA nach Ansicht der überparteilichen Baker-Kommission die Voraussetzung für einen baldigen Abzug ihrer Truppen aus dem Irak schaffen.
Beurteilt die Lage im Irak schonungslos: James Baker.
Die ranghohe Expertengruppe warnte in ihrem gestern veröffentlichten Bericht davor, dass der Irak ins Chaos abzugleiten drohe. Erforderlich sei eine neue Strategie. Die US-Soldaten sollten sich zunehmend aus den Kämpfen heraushalten und auf die Ausbildung irakischer Kräfte konzentrieren. US-Präsident George W. Bush sagte zu, die Vorschläge des unabhängigen Expertenrats ernst zu nehmen.
»In unseren wichtigsten Empfehlungen fordern wir neue und verbesserte diplomatische und politische Bemühungen im Irak und der Region sowie einen Wandel der Hauptaufgabe der US-Kräfte im Irak, um es den USA zu ermöglichen, mit dem Abzug ihrer Kampftruppen aus dem Irak zu beginnen«, schrieb das mit Demokraten und Republikanern gleichmäßig besetzte Gremium, das die Irak-Politik Bushs unter Leitung des ehemaligen Außenministers James Baker neun Monate lang überprüft hatten.
Fast vier Jahre nach dem US-Einmarsch in den Golfstaat beschrieben die Experten die Lage als »schlimm und sich weiter verschlechternd«. Das Land drohe vollends ins Chaos abzugleiten, wenn diese Entwicklung anhalte. »Die Folgen können schwerwiegend sein. Ein Abrutschen ins Chaos kann den Kollaps der irakischen Regierung und eine humanitäre Katastrophe verursachen. Nachbarländer könnten eingreifen und die El-Kaida könnte einen Propaganda-Sieg erringen.«
Bush begrüßte die Empfehlungen und sagte zu, die Vorschläge für einen Kurswechsel im Irak sehr ernst zu nehmen und rasch zu handeln. Er räumte ein, dass die Kommission die Lage schonungslos beurteile. Baker hatte den Präsidenten am Vorabend der Veröffentlichung persönlich über die Ergebnisse informiert. Das US-Präsidialamt verwies darauf, dass auch die Kommission keine Zauberformel für die Lösung des Irak-Konflikts kenne.
Die Experten empfehlen demnach zudem, den Iran und Syrien direkt an der Suche nach einer Lösung zu beteiligen und die Ausbildung der irakischen Streitkräfte schnell zu intensivieren.
Der Einsatz im Irak dauert inzwischen länger als die Beteiligung der USA am Zweiten Weltkrieg.
Der Aufstand gegen die US-geführten Truppen ist nach den Worten von UN-Generalsekretär Kofi Annan zu einem Bürgerkrieg unter den Irakern ausgeartet. Der Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten fallen UN-Schätzungen zufolge täglich 120 Menschen zum Opfer. Auch gestern starben bei Anschlägen und Zusammenstößen mindestens 13 Menschen.
Angesichts der vertrackten Lage hatte eine Gruppe von US-Abgeordneten vor neun Monaten die Baker-Kommission ins Leben gerufen. Sie sollte als und überparteiliche Expertengruppe einen Ausweg aus der Krise der USA finden. Der 76-jährige Baker gilt als enger Vertrauter der Bush-Familie und hat bereits Bushs Vater als Minister gedient.
Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 07.12.2006