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Fehler des 19. Jahrhunderts werden wiederholt

Vorstandsbericht des Johanneswerks: Chancen der Diakonie in Zeiten des Sozialabbaus

Bielefeld (WB). Unter dem Titel »Wenn nicht jetzt, wann dann?« hat Pastor Dr. Udo Krolzik, Vorstandsvorsitzender des Ev. Johanneswerks, gestern seinen Vorstandsbericht vorgestellt. Die Große Koalition berge Chancen, die großen Themen des sozialen Rechtsstaates anzupacken, sagte Krolzik vor 180 leitenden Mitarbeitern.

Krolzik warnte jedoch vor beschönigten Statistiken. Die anspringende Konjunktur habe der Politik den Druck genommen, das Sozialsystem grundsätzlich reformieren zu müssen. »Diese Atempause könnte genutzt werden, um grundlegende Reformen anzupacken und durchzusetzen.«
Die Armutsdebatte und Probleme im Jugendbereich seien gefährliche Folgen des Rückzugs des Staates aus seiner sozialen Verantwortung. »Die Herausforderung für den Staat besteht nicht darin, weitere gesetzliche Reglementierungen zu entwickeln, sondern bestehende soziale Unterstützungssysteme, zum Beispiel in der Jugendhilfe, abzusichern und weiterzuentwickeln«, sagte Krolzik. Gleichzeitig warnte er davor, die Fehler des 19. Jahrhunderts zu wiederholen, als das Gemeinwohl dem Markt und den aktiven Bürgern überlassen wurde. Der damalige Pauperismus (heute Prekariat) und die Verwahrlosung von Kindern wiederholten sich.
Der Vorstand sprach sich für eine klare Aufgabenverteilung aus, »in der der Markt regelt, was des Marktes ist, die Zivilgesellschaft, was engagierte Bürger sich zutrauen, und staatliche Organe beiden einen rechtlichen, sozialen und ökologischen Rahmen setzen.«
Staatsversagen sei immer auch eine Chance für die Diakonie, betonte Krolzik. In der Demographie-Debatte fehlten die Einbeziehung technischen und medizinischen Fortschritts sowie die Entwicklungen neuer Versorgungskonzepte - hier sei das Johanneswerk führend. Moderne Konzepte berücksichtigten das Potential älterer Menschen sowie die steigende Zahl der Pflegebedürftigen. Neben den stationären Angeboten werde die stadtteilbezogene Versorgung weiterentwickelt.
Für die Umsetzung zukunftsfähiger Versorgungsketten sind nach Ansicht des Vorstandes zum einen die Verbindung zu den Kirchen wichtig, zum anderen der Ausbau der dezentralen Struktur des Johanneswerks. »Diakonie war schon immer näher an den Menschen dran«, sagte Krolzik.

Artikel vom 07.12.2006