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Nicht alle Hoffnungen erfüllt

Der Markt für Sportliteratur hat sich nach der WM wieder beruhigt

Von Hans Peter Tipp
Bielefeld (WB). Die Schlacht ist geschlagen, die Luft ist raus: Der WM-Pokal steht in Italien, daran ist vorerst nichts zu ändern. Am Ende haben sich eben doch nicht alle deutschen Hoffnungen erfüllt in diesem Fußballsommer - auch nicht in den Verlagsetagen, die rund ums runde Leder ein größeres Geschäft erhofft hatten.

Aber der Ball rollt nicht auf Wunsch ins Tor und schon gar nicht zum Leser. So stauen sich nun Biografien (»Jürgen Klinsmann«, Scherz-Verlag; »Michael Ballack - Sein Weg«, Südwest), Berichte (»WM 1930«; »WM 1966«, beide Agon) oder Beichten (Paul Gascoigne: »Mein verrücktes Leben«, Bombus-Verlag; Pele: »Mein Leben«, Scherz) in den Regalen der Händler. »Nach dem großen Hype nun die unaufgeregte Normalität.« So beschreibt Enno Brandt vom Werkstatt-Verlag aus Göttingen die Lage der Branche.
Aus diesem Grund ist die Zahl an wirklich neuen Sportbüchern in diesem Herbst überschaubar. An Jugendliche von 12 Jahren an wendet sich »Das visuelle Lexikon Sport« aus dem Gutenberg-Verlag. Es liefert auf beachtlichen 368 Seiten einen informativen Überblick zu bekannten und weniger bekannten Sportarten. Insgesamt 120 zählt das Autorenteam auf, klammert allerdings die Dopingproblematik bewusst aus. Zu viel Aufklärung scheint nicht gewollt zu sein.
Im Bombus-Verlag erschienen ist »Trautmann - die Biografie«. Vor exakt 50 Jahren wurde der deutsche Torwart nach dem Gewinn des englischen Pokals als erster Ausländer auf der Insel zum »Fußballer des Jahres« gewählt. Dagegen bleibt die »ungeschminkte Wahrheit« (Verlagswerbung) über den an einer Überdosis Kokain im Februar 2004 gestorbenen Radprofi Marco Pantani etwas hinter den Erwartungen zurück. In »Der Pirat« nehmen die Pantani-Vertrauten Manuela Rondi (Ex-Managerin) und Gianfranco Josti (Radsportjournalist) zu sehr die Sicht des Opfers ein.
Radsport, das ist und bleibt das Metier des Covadonga-Verlages aus Bielefeld. Mit »Bobkes Welt«, einem Episoden-Roman des ehemaligen US-Radprofis Bob Roll, und der Lebensgeschichte des Stundenweltrekordlers Graeme Obree (»Flying Scotsman«) kommen zwei ausgesprochene Exzentriker zu Wort. Beide passen überhaupt nicht in das normale Star-Schema: Roll, eine Zeit Trainingspartner von Lance Armstrong, ist ein Verrückter im positiven Sinne, auch wenn er mal halb verhungert und erfroren von Freunden in den Rockies eingesammelt werden muss. Der »Bukowski im Rennsattel«, so sagt man, ist immer für Extratouren gut. Und die beschreibt er besonders lebendig.
Graeme Obrees Autobiografie ist so ungewöhnlich wie die Sitzposition, mit der sich in das Geschichtsbuch des Radsports fuhr. Aus Waschmaschinenteilen schraubte der Schotte das schnellste Rad der Welt zusammen, obwohl er immer schon am Rande der Depression wandelte. Ein genialer Tüftler, der ein Leben zwischen totaler Hingabe und völliger Verzweiflung führte. In diesem Buch schreibt Obree sich alles von der Seele - frühe Vorstrafe, ewige Zweifel, wilde Alkohol- und Drogenexzesse, drei Selbstmordversuche, aber auch unglaubliche sportliche Triumphe und Rekorde.
Der Bücherherbst nach dem Sommermärchen hat es also doch in sich. Erlesenes findet sich dabei - Gott sei dank - wieder abseits des großen Fußballrummels. Diese Vielfalt lässt für das kommende Jahr nur das Beste hoffen.

Artikel vom 09.12.2006