30.12.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Libanon-Konflikt

Wohin treibt der
Nachbar Israels?

Als nach mehr als einem Monat Krieg zwischen Israel und der radikal-islamischen Hisbollah-Miliz am 14. August die Waffen schwiegen, waren im Libanon und in Israel insgesamt fast 1100 Menschen ums Leben gekommen. Die Kriegsschäden im Libanon gingen in die Milliarden.


Mehr als eine halbe Million Menschen waren im zerstörten Libanon auf der Flucht, in einem Land, das nur 4,5 Millionen Einwohner hat.
Ausgelöst worden war die israelische Invasion in den Südlibanon durch die Entführung zweier israelischer Soldaten durch Hisbollah-Einheiten. Um die brüchige Waffenruhe zu sichern, einigten sich Israelis, die Hisbollah, die libanesische Regierung und die Vereinten Nationen auf die Entsendung einer UN-Friedenstruppe.
Die Bundesregierung beschloss, zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Marine-Einheiten in unmittelbarer Nähe zu Israel zu stationieren. Die Marinesoldaten sollen im Auftrag der UN verhindern, dass die Hisbollah Waffennachschub über das Mittelmeer erhält.
Die Hisbollah, die als schiitische Partei auch mit elf Abgeordneten im libanesischen Parlament vertreten ist, gewann durch ihren erfolgreichen Widerstand gegen die israelischen Truppen nicht nur im eigenen Land, sondern auch im gesamten arabischen Raum an Ansehen. Sie hatte der israelischen Armee endgültig den Nimbus der Unbesiegbarkeit genommen. In Israel registrierten viele Menschen ungläubig, dass ihre Armee mit den Hisbollah-Milizen nicht fertig wurde und deren Raketen nicht nur im Norden, sondern auch in Haifa im Landesinnern einschlugen.
Ministerpräsident Ehud Olmert musste nach der Waffenruhe um sein politisches Überleben kämpfen. Er hatte weder die Befreiung der Soldaten noch die Zerschlagung der Hisbollah-Miliz erreicht. Er musste »Versäumnisse« in der Kriegführung einräumen, kündigte aber gleichzeitig an, die Hisbollah-Extremisten weiter unnachgiebig zu verfolgen. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu warnte jedoch: »Es gibt niemanden, der die Hisbollah aufhalten wird.«
Später kam eine Armee-Kommision zu dem Ergebnis, dass die israelischen Truppen im Kanpf gegen die Hisbollah schwere Fehler gemacht hätten. Die Militärführung habe während der Kämpfe im Sommer auf allen Ebenen versagt.
Im Libanon geriet die anti-syrische Regierung von Fuad Siniora nach dem Kriegsende zunehmend unter Druck. Die pro-syrische Hisbollah und ihre Verbündeten warfen Siniora eine Amerika-freundliche Politik vor und forderten eine »Regierung der nationalen Einheit«.
Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten die Proteste gegen Siniora Anfang Dezember, als hunderttausende Demonstranten den Regierungssitz in Beirut belagerten und »Siniora raus« riefen. Als sunnitische Anhänger der Siniora-Regierung während einer Hisbollah-Demonstration einen schiitischen Demonstranten töteten, wurde deutlich, dass die Auseinandersetzung zwischen gewählter Regierung und der Opposition immer mehr zu einem Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten ausuferte.
Hier braut sich ein Konflikt zusammen, der schlimme Folgen für die gesamte Region haben kann. Die Anhänger der schiitischen Hisbollah wollen nicht nur die Macht der der frei gewählten pro-westlichen Regierung brechen. Sie wollen auch ein Internationales Tribunal verhindern, das die Ermordung des Ministerpräsidenten Rafik el Hariri 2005 aufklären soll. Der syrische Geheimdienst soll nicht nur in diesen Mord verwickelt gewesen sein.
Die pro-syrischen Schiiten streben offenbar einen Umsturz im Land an durch den Druck der Straße. Damit wächst die Gefahr eines neuen Bürgerkrieges in diesem Land, das in den vergangenen 50 Jahren zwei Bürgerkriege zu erleiden hatte.
Eindringliche Mahnungen der Europäischen Union, den demokratischen Kräften im Land eine Chance zur Lösung des Konflikts zu geben, verhallten ungehört. Auch Vermittlungsversuche der Arabischen Liga zwischen den Konfliktparteien blieben bisher erfolglos.
Wenn der Libanon erneut in Flammen aufgehen sollte, wird der derselbe konfessionelle Radikalismus, der derzeit den Irak erschüttert, die Ursache sein, trotz aller Aufrufe zur Mäßigung von libanesischen Islamgelehrten an radikale Schiiten und Sunniten im Lande.

Ein Beitrag von
Friedhelm Peiter

Artikel vom 30.12.2006