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Das Kapital flüchtet aus Deutschland

Auslandskonten heiß begehrt

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Die Kapitalflucht aus Deutschland geht in eine neue Runde. Ausländische Banken profitieren vom Ende des Bankgeheimnisses, der Aufhebung von Spekulationsfristen und der 2009 kommenden 25-prozentigen Abgeltungssteuer auf Zinsen und Kursgewinne.
Steuerparadies direkt vor der Haustür: Österreich.
Von einer Verdreifachung der Anfragen und bis zu 50 Prozent mehr Kontoeröffnungen deutscher Steuerzahler in 2006 bei ausländischen Banken berichtet Vermögensberater Wolfgang Schweißgut. Allein das Bankhaus Jungholz in einer österreichischen Enklave im Allgäu verwaltet eine Milliarde Euro für deutsche Anleger.
»Mit dem automatisierten Abruf von Kontoinformationen hat das gute alte Bankgeheimnis in Deutschland ausgedient«, sagt Hans-Lothar Merten. Die Kontenabfrage sei »das Beste gewesen, was den Banken im Ausland passieren konnte«, urteilt der Autor des Standardwerkes »Steueroasen 2007«.
Als rein spekulativ bezeichnet dagegen das Finanzministerium Darstellungen, wonach Kapitalabflüsse ins Ausland eine Folge der 75 000 Kontenabfragen 2005 seien. »Objektiv ist ein solcher Zusammenhang nicht verifizierbar«, heißt es dazu aus dem Haus von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD).
Hierzulande werden auch in Finanzdingen die EU-Standards übererfüllt. Deshalb gibt es trotz der seit Juli 2005 einheitlichen EU-Zinsrichtlinie weiter Vorteile jenseits der deutschen Grenze.
Der Bundesrechnungshof bemängelt in seinem Jahresbericht, dass Einkommensmillionäre oft zu wenig Steuern zahlen, weil die Finanzämter sie zu selten überprüfen. »Wir können jährlich zehn Milliarden Euro mehr in die Kasse bringen«, bestätigt der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft Dieter Ondracek. Finanzexperten von Attac schätzen sogar, dass Deutschland durch Steuerflucht jährlich 14 Milliarden entgehen. Aus Sicht des Sachverständigenrats ist die kommende Abgeltungssteuer mit 25 Prozent zu hoch. Die Erwartung von Finanzpolitikern, damit käme das große Kapital aus dem Ausland zurück, betrachten die Wirtschaftsweisen als Illusion. Bereits zurückgenommen hat die große Koalition Pläne, wonach 2008 ein Jahr mit 30 Prozent Abgeltungssteuer vorgeschaltet werden sollte.
Wer erst spät anfängt umzuschichten, muss hierzulande mit sehr viel höheren Abgaben rechnen. Steueroasen-Experte Merten: »Die Banken in Österreich, Luxemburg, Liechtenstein und der Schweiz warten nur auf die neue Kapitalflucht.« Themen der Zeit

Artikel vom 06.12.2006