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Ausstellungen

Das Mittelalter sticht
die moderne Kunst aus

Jubel in Paderborn, Katzenjammer in Herford. Während die Macher der Ausstellung »Canossa 1077: Erschütterung der Welt« am 5. November eine positive Bilanz zogen, gerieten die Verantwortlichen des MARTa in Herford immer mehr in Erklärungsnot.


Die unrühmlichen Schlagzeilen rund um das als »Leuchtturm« der regionalen Kunstszene angepriesene Museum für zeitgenössische Kunst häuften sich. Die Tatsache, dass Bau und Unterhaltung aufgrund eklatanter Fehleinschätzungen immer kostspieliger wurden, war bekannt. Im August wurde eine Unternehmensberatung aus Berlin damit beauftragt, die MARTa-Zahlen unter die Lupe zu nehmen. Das Haus brauchte 2006 einen Zuschuss von 2,56 Millionen Euro. Im Herbst sickerte durch, dass das Museum offenbar Werke eingekauft hatte, ohne die Rechnungen zu bezahlen. Forderungen an das Museum in sechsstelliger Höhe sollen damit der Stadt Herford verborgen geblieben sein.
Wer muss sich den Vorwurf der Verschleierung gefallen lassen? Die Stadt kündigte dem Prokuristen des Museums; der wiederum erwirkte vor Gericht eine Kündigungsschutzklage und machte den ehemaligen MARTa-Geschäftsführer Hans-Jörg Gast für das merkwürdige Finanzgebaren verantwortlich. Anfang Februar findet die Gerichtsverhandlung statt. Damit nicht genug, sollen MARTa-Mitarbeiter auf Kosten der Stadt gegessen haben. Mehrere private Besuche des Restaurants im Erdgeschoss sollen sie dem Museum und damit der Stadt in Rechnung gestellt haben, und dies über einen längeren Zeitraum.
Auch der belgische Museumsdirektor Jan Hoet machte mit vermeintlich witzigen Bemerkungen in einer Fernseh-Show in Flandern unangenehm auf sich aufmerksam: Den Deutschen fehle es an Humor, dafür wollten sie geführt werden, ulkte er. Wäre da nicht die Fülle der Negativ-Schlagzeilen, könnten die Museums-Verantwortlichen mit dem Jahr 2006 zufrieden sein. Das MARTa war als »Ort im Land der Ideen« als sehenswerte Einrichtung in die Werbekampagne der Bundesregierung und Wirtschaft zur Fußball-WM aufgenommen worden, und die Ausstellungen, von Tupperware bis zum »Modernism«, lohnten den Besuch. Im Mai 2005 eröffnet, zählte das Museum nach nur einem Jahr bereits 150 000 Gäste.
Die Ausstellungsgesellschaft Canossa erlebte in Paderborn dreieinhalb Monate wie aus dem Bilderbuch. Die Mittelalter-Schau »Canossa 1077: Erschütterung der Welt« über Vorgeschichte und Auswirkungen des berühmten Kniefalls von König Heinrich IV. vor Papst Gregor VII. zog zwischen dem 21. Juli und 5. November 185 000 Besucher an und lag damit voll im Plan. Das Museum in der Kaiserpfalz, das Diözesanmuseum und die Städtische Galerie zeigten 760 Stücke, darunter den goldenen Krodo-Altar und Heinrichs Thron aus Goslar, den Papstthron aus dem Lateran, das Adelheidkreuz aus dem Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal in Kärnten und das Antependium Großcomburg aus Schwaben.
Es sei eine »Ausstellung von europäischem Rang« gelungen, jubelte der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Wolfgang Kirsch. »Canossa« stellte sich als Beispiel für vorbildliches Public Private Partnership heraus. Landschaftsverband, Stadt und Erzbistum Paderborn stemmten die 5 Millionen Euro teure Ausstellung gemeinsam. Eine Million Euro gingen an Spenden ein, 1,5 Millionen Euro brachten die Eintrittskarten in die Kasse. Christoph Stiegemann vom Diözesanmuseum berichtete von Anfragen aus anderen Städten, die sich über das erfolgreiche Konzept einer Dreierpartnerschaft informieren wollten. Und im Gegensatz zur Stadt Herford durfte sich Paderborn nicht nur über den Image-Gewinn durch die Schätze aus dem Mittelalter, sondern auch noch darüber freuen, dass die Kostenrahmen eingehalten wurden.

Ein Beitrag von
Dietmar Kemper

Artikel vom 30.12.2006