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Scotland-Ermittler bei der Ankunft in Moskau

»Bitte, keine Fotos! Meine Mutter
weiß nicht, dass ich rauche.«

Leitartikel
Zwischen Sushi-Bar und Kreml

Der Geruch wirkt
schauderhaft


Von Rolf Dressler
Russland ist beinahe unendlich weit. Und vielen hier bei uns viel ferner, als die nur wenigen Flugstunden hinüber und herüber es eigentlich vermuten lassen.
Gestern nun schon wieder ein schauderhaft mörderisches Verbrechen. Abermals mähte ein Killerkommando wie aus dem Nichts einen hochrangigen Wirtschaftsmanager nieder, leistete kaltblütig ganze Arbeit. Auch Alexander Sa- moilenko, Generaldirektor eines namhaften Gas-Handelsunternehmens, hatte offenbar nicht den Hauch einer Chance.
Erneut gibt es überreichlich An- lass zu mehr als nur windigen Mutmaßungen. Denn Samoilenkos einstige Großfirma Itera-Samara wurde binnen kurzem in dicken Happen von Russlands halbstaatlichem Energie-Giganten, Gas-Monopolisten und Medien-(Gleichschaltungs-)Konzern Gasprom geschluckt.
Es fügt sich wundersam, dass eben dieser Übermacht-Riese Gasprom ganz wesentlich dem Kreml-Herrscher Wladimir Putin als Machtgarant zu Diensten steht. Und delikaterweise sicherte sich Gasprom bekanntlich auch die interaktive Beratung und Kontaktevermittlung eines gewissen Gerhard Schröder, vormals sieben Jahre lang Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, eines der hungrigsten und zahlungskräftigsten Energieverbraucher der Erde.
Derweil veräppeln Politiker, Geheimdienstleute aus Ost und West und halbseidene sogenannte Informanten sogar die Medienwelt und erst recht natürlich die ohnehin schon überwiegend desorientierte Bürgeröffentlichkeit. Da fliegt ein Tross von Scotland Yard im Blitzlicht- und Interviewgewitter von Presse, Funk und Fernsehen in Moskau ein - angeblich um herauszufinden, wer denn wohl den russischen Ex-Spion Alexander Litwinenko heimtückisch zu Tode brachte und zudem dessen italienischen Gesprächspartner Mario Scaramella am 1. November 2006 in einer Londoner Sushi-Bar mit dem radioaktiven Polonium 210 verstrahlt haben könnte.
Wer oder was aber steckt tat- sächlich hinter dieser Scotland-Yard-Inszenierung? Nur Staatschef Putin höchstpersönlich kann für die Einreise grünes Licht gegeben haben. Das wäre nach sonst gängiger russischer Verdunkelungspraxis äußerst ungewöhnlich. Und weshalb versucht nun auch noch das amerikanische FBI in der Brühe mitzurühren, die längst zum Himmel stinkt?
Schauerlich reihen sich in Russland Auftragsmorde an Politikern, Geschäftsleuten und unliebsamen Regimekritikern aneinander. Schneidend kalt kanzelt Kreml-Boss Putin, der geübte Herr aller Geheimdienste, die Opfer ab: Diese Leute, giftet er, seien übelste »Provokateure - oder sehr dumm«. Und über die unlängst hingemordete Journalistin Anna Politkowskaja urteilte er wegwerfend, die regimekritische Frau sei »unbedeutend« gewesen und »ohne Auswirkungen auf das politische Leben in Russland«.
Das und vieles andere gibt sehr zu denken. Die Menschenrechte sind immer weniger allgemeinverbindlich. Dann aber bleibt nur noch ein zivilisatorisches Minimum. Doch das ist entschieden zu wenig.
Für heute und morgen.

Artikel vom 06.12.2006