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Mediziner hängen
Kittel an den Nagel

Vollständiger Stopp der Gesundheitsreform gefordert

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Bei der für Ostwestfalen-Lippe zentralen Großdemonstration gegen die geplante Gesundheitsreform haben gestern Nachmittag in der Bielefelder Stadthalle mehr als 100 Ärzte symbolisch ihre weißen Kittel ausgezogen und an den Nagel gehängt.

Die am gestrigen Aktionstag »Patient in Not« bundesweit gesammelten Kittel werden am 14. Dezember in Berlin aufgehängt. Ihre Zahl soll die Mediziner symbolisieren, die Deutschland bereits den Rücken gekehrt haben.
Innerhalb von nur drei Wochen war es gelungen, alle Gesundheitsberufe und die Krankenhäuser zu einer wirkungsvollen Informationskampagne zu bewegen. In Bielefeld wurden die mehr als 1500 Demonstranten vor dem Rathaus von Dr. Hermann Brune (Gütersloh) und dem Bielefelder Kinderarzt Dr. Michael Müller des Ärztenetzes Medi OWL auf den Protest eingestimmt. Müller ist seit kurzem auch neuer Vorsitzender der Praxisnetze in Westfalen-Lippe. Lautstark unterstützt wurden die Demonstranten von der Bielefelder Samba-Gruppe Les Benitas.
Scharf ging der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Dr. Ulrich Thamer, mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ins Gericht. Schmidt hatte es als ärgerlich bezeichnet, »wenn Patienten oder kranke Menschen in Geiselhaft genommen werden für Forderungen nach mehr Geld«. Thamer: »Wir lassen unsere Patienten nicht im Stich.« Es sei legitim, wenn Ärzte und Apotheker, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Gesundheitsreform Öffentlichkeit und Politik drastisch vor Augen führten. Trete das neue Gesundheitsgesetz in der vorgesehenen Form am 1. April 2007 in Kraft seien 50 Prozent der Facharztpraxen und 25 Prozent der Hausarztpraxen in Gefahr. Eine wohnortnahe Versorgung sei nicht mehr gewährleistet. Ferner werde befürchtet, dass 50 Prozent der Apotheken schließen müssten und 25 Prozent der Krankenhausbetten nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden könnten. Des weiteren bedeute die geplante Reform das Aus für 30 Prozent der niedergelassenen Psychotherapeuten. Thamer: »Im Gesundheitswesen sind vier Millionen Menschen beschäftigt. Wir sind eine Macht und müssen gemeinsam das neue Gesetz verhindern.«
Die Regierung plane derzeit das 17. Spargesetz im 18. Jahr, kritisierte Gabriele Oberwiening aus Bielefeld als Vertreterin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe während der Abschlusskundgebung in der Stadthalle Bielefeld. Großspurig sei der große Wurf versprochen worden. Herausgekommen sei hingegen ein fauler Kompromiss Die Reform sei ein Generalangriff auf das gesamte Gesundheitswesen. Auch mit der westfälischen Genügsamkeit sei es jetzt vorbei. Oberwiening: »Das Maß ist voll. Das Gesetz muss vom Tisch. Wir brauchen einen gemeinsamen Neuanfang.« Mehr als 90 Prozent der Bürger lehnten das Gesetz ab, das den Rückfall in die Staatsmedizin bedeute. Die Reform sei eine riesige Mogelpackung. Vor dieser bitteren Pille müssten Ärzte, Apotheker und Patienten bewahrt werden. Allein in Bielefeld seien in den Apotheken 500 Stellen gefährdet.
Der Präsident der Krankenhaus Gesellschaft NRW und Verwaltungschef der Städtischen Kliniken Bielefeld, Johannes Kramer, betonte, dass im Pflegebereich bereits Stellen abgebaut worden seien. Im nächsten Jahr müsse sein Haus eine Mehrbelastung von 5,3 Millionen Euro verkraften. Dann werde es auch Einsparungen im Ärztebereich geben müssen. Kramer: »In größeren Krankenhäusern müssen in Zukunft komplette Abteilungen geschlossen werden. Kleine Kliniken müssen ganz schließen.«

Artikel vom 05.12.2006