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Alle Mann hinter Alemannia:
Tor-Tanz im Tollhaus Tivoli

Seit 1928 rollt hier die Kugel - Neubau-Pläne für 2010 in der Schublade

Von Klaus Lükewille
Aachen (WB). Tivoli. Vergnügungspark - aber auch ein italienisches Kugelspiel. So steht es im Lexikon. Passt hundertprozentig zum Stadion in Aachen, das den gleichen Namen trägt. Hier wird seit 1928 mit der Kugel gespielt, hier ist der Besuch immer ein Vergnügen.

Tollhaus Tivoli. Ball-Biotop und letzte Kicker-Kult-Stätte im deutschen Oberhaus. Ein »Reservat«, das Alemannia-Manager Jörg Schmadtke voller Stolz so beschreibt: »Bei uns ist alles noch naturbelassen.« Aber dann kommt gleich seine Einschränkung: »Auf Dauer sind wir damit natürlich nicht konkurrenzfähig.«
Die Pläne für den neuen Tivoli liegen deshalb schon lange in der Schublade. Der Bauantrag wird Ende nächsten Jahres eingereicht. Im Sommer 2010 soll das Schmuckstück fertig sein, 23 Millionen Euro kosten und 32 000 Zuschauern Platz bieten.
Aber bevor die Bagger anrücken, »baggern« die Aachener hier noch um Punkte und Erfolge. Wie an diesem Samstag in der Liga gegen den Hamburger SV. Und am 20. Dezember beim Pokal-Knüller, wenn der FC Bayern kommt.
Die 20 800 Tickets sind längst ausverkauft. Dann werden sie wieder durch die Luft gewirbelt, die schwarz-gelben Schals. Dann wird wieder gesungen: »Alemannia, Hurra, wir sind wieder da.«
Ganz oben. In Liga eins. Endlich zurück nach 36 langen Jahren. Und bei der Premiere am 19. August 2006 gegen den FC Schalke kochte dieses Stadion fast über.
Tollhaus Tivoli. Dass den »Königsblauen« damals ein Tor reichte, um die drei Punkte zu entführen, konnte die Zuschauer nicht lange erschüttern. Viele leben und leiden mit ihrer Alemannia schließlich schon seit Jahrzehnten, sie sind Rückschläge gewohnt. Und in schweren Stunden, da wird eben ein Lied geträllert, in dem es heißt: »Doch das Spiel, wie kann es anders sein, gewinnt immer der gegnerische Verein.«
Ja, sie nehmen sich gern selbst auf die Schippe, die Aachener. Die Grenzstadt ist schließlich eine alte Karnevalshochburg, in der in jedem Jahr der »Orden wider den tierischen Ernst« verliehen wird. Die Auszeichnung hätte auch der Ober-Alemanne mal verdient. Weil Präsident Horst Heinrichs schon zu Zeiten vom Wiederaufstieg in die erste Liga sprach, als Aachen im Mittelfeld der zweiten Klasse dahin dümpelte. Tivoli-Besucher schüttelten damals den Kopf: »Hat der Heinrich sie nicht mehr alle? Das soll wohl ein Witz sein.«
Heute lacht der Präsident, der über seinen Klub sagt: »Hier wird noch handgemachter Fußball gespielt.« Der Mann ist übrigens Professor für Maschinenbau und die »Fußball-Maschinerie« Alemannia, die läuft inzwischen so richtig rund. Das war nicht immer so. In Aachen wurden auch schon mal prall gefüllte Geldkoffer hin- und hergeschoben, der Traditionsverein schrammte nur ganz haarscharf am Abgrund vorbei.
Heute stehen sie in Aachen aber wieder alle Mann hinter ihrer Alemannia. Dichtgedrängt auf den Tribünen, ganz nah am Spielfeldrand. Das sind dann die Tage, an denen der Tivoli zum Tollhaus wird. Die Fans: fantastisch, manchmal aber auch fanatisch.
Kapitän Rainer Plaßhenrich, ein Ostwestfale, der schon in Hövelriege, Stukenbrock, Verl und Paderborn spielte, lässt sich von dieser Atmosphäre immer wieder anstecken und mitreißen Er macht dem Publikum ein Kompliment: »Die Leute waren bereits absolut erstklassig, als wir noch in der zweiten Liga rumgurkten.«
Wenn Plaßhenrich in die Kabine marschiert, geht er über Sterne. Auf einem steht auch sein Name. So wie in Hollywood haben sie in Aachen ihre Stars, die Aufsteiger des Jahres 2006, mit Bronze-Platten geehrt und verewigt.
Tollhaus Tivoli, das ist eben eine etwas andere Fußball-Welt. Heiße Fans. Volle Lautstärke. Aber es bleibt auch Platz für ein stilles Gedenken. »In Memoriam Werner Fuchs«. Dieses Transparent hängt immer an der gleichen Stelle. Es erinnert an den ehemaligen Aachener Trainer, der am 11. Mai 1999 im Alter von nur 50 Jahren nach einem Herzinfarkt gestorben ist. Am Tivoli lebt er weiter.

Artikel vom 16.12.2006