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Bielefelder Modell könnte
die Therapie revolutionieren

Jahrestagung des »Arbeitskreises Depressionsstationen«

Von Matthias Meyer zur Heyde (Text und Foto)
Bethel (WB). Falls die Krankenkassen mitziehen, könnte in Bielefeld ein hervorragend funktionierendes Modell der ambulanten Intensivversorgung depressiver Patienten Realität werden. Die Mediziner jedenfalls sind optimistisch.

Im Mittelpunkt der traditionellen Jahrestagung des »Arbeitskreises Depressionsstationen« (AKD), die diesmal im Assapheum in Bethel stattfand, stand das BID, das »Bielefelder integrative Depressionsprogramm«. Knapp 100 Spezialisten, vor allem Psychiater und Psychotherapeuten sowie Vertreter der Kassen, tauschten sich über dieses neuartige Versorgungskonzept für Depressivpatienten aus, das die Vorteile der bisherigen - recht lockeren - ambulanten Behandlung mit der sehr teuren stationären Therapie kombiniert.
Die Tagungsteilnehmer diskutierten, wie sich Diagnostik und Therapie der häufigsten psychischen Erkrankung (vier Millionen Deutsche sollen betroffen sein) verbessern lässt. Prof. Martin Driessen, Chefarzt des Ev. Krankenhauses Bielefeld (EvKB), stellte das BID vor. Rosemarie Welscher von der Pflegerischen Abteilungsleitung des EvKB zeigte die Praxis auf, bei der ein Pfleger zwar für mehrere Patienten zuständig ist, diese aber verantwortlich durch die gesamte Therapie geleitet - auf individuell Bedürfnisse als Ansprechpartner reagierend.
Dr. Thomas Beblo, Leiter der Forschung im EvKB, referierte neue Erkenntnisse über den Verlauf der Depression, ging auf Konzentrationsstörungen, Leistungsschwankungen und geistige Funktionseinbußen ein. Prof. Manfred Wolfersdorf, Chefarzt aus Bayreuth, der vor 30 Jahren die erste Depressionsstation gegründet hatte (in Deutschland gibt es mittlerweile 90), stellte die politischen Entwicklungen vor, in die der Arbeitskreis eingebettet ist.
»Die Kompetenz und das Wissen des Personals der Depressionsstationen ist kontinuierlich gewachsen«, sagte Wolfersdorf befriedigt. Nun gelte es, Erfahrungen aus den Therapiemaßnahmen zu koordinieren. Die Behandlung ruht auf vier Säulen, auf Psychotherapie, und Medikamentengabe, auf soziotherapeutischen Maßnahmen und - immer wichtiger Werdend - auf den Selbsthilfegruppen.
»Die Zahl der Depressivpatienten in Behandlung nimmt zu, aber wir wissen nicht genau, ob ihre Zahl steigt oder ob lediglich die stetig verbesserten Therapieangebote angenommen werden«, sagte Wolfersdorf. Zehn Prozent der Bevölkerung leiden unter leichten bis schweren Depressionen, die oft in Schüben wiederkehren. Von der Krankheit, die Typisch für das mittlere Lebensalter sei, sind zunächst Frauen stärker betroffen, doch im Alter haben eher Männer depressive Probleme.
Es gibt zwei Hauptsymptome: herabgesetzte Stimmung und Antriebslosigkeit. Dazu kommen einige Nebensymptome wie sexuelle und Schlafstörungen sowie Einengung der Gedanken. »Ein Tag der Niedergeschlagenheit reicht nicht, aber wer diese Anzeichen auch nur zwei Wochen lang verspürt, ist bereits depressiv«, sagte Dr. Mathias Lindner, Oberarzt im EvKB und Organisator der Jahrestagung.

Artikel vom 05.12.2006