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30 000 Ärzte
planen Boykott

Kassenpatienten privat behandeln

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Die niedergelassenen Ärzte planen im nächsten Jahr massenweise die Rückgabe ihrer Kassenzulassungen. Die Behandlung von Kassenpatienten wird dann nach der Gebührenordnung für Privatpatienten direkt mit den Kassen abgerechnet.
Der Protest der Mediziner wird massiver.

Ziel sei, dass 30 000 der 120 000 Haus- und Fachärzte auf ihre Kassenzulassung verzichten, sagte der Vorsitzende des Verbandes Freie Ärzteschaft, Martin Grauduszus (Erkrath). Die Mehrzahl der Zulassungen soll bis zum 1. April, dem geplanten Inkrafttreten des neuen Gesundheitsgesetzes, erfolgen.
In Nordrhein-Westfalen hätten die 642 Urologen bereits erste Schritte zum Systemausstieg unternommen. Derzeit würden bei einem Notar oder Rechtsanwalt die Absichtserklärungen zur Rückgabe nach dem sogenannten Korbmodell hinterlegt. Sei der Korb voll, werde erneut über die kollektive Rückgabe abgestimmt.
Bei einer aktuellen Erhebung hätten sich 69 Prozent der Befragten bereit erklärt, auf die Zulassung zu verzichten, wenn dies auch von anderen Kollegen getan werde. In Kürze werde für Ärzte ein rechtlicher Leitfaden zum Systemausstieg erscheinen. Grauduszus: »Für ihre Praxen sehen die Mediziner keine wirtschaftliche Perspektiven mehr.« Ferner wolle man die Patienten nicht im Stich lassen und sie weiter behandeln. Derzeit müssten Ärzte auf das Honorar von 30 Prozent ihrer Leistungen verzichten. Dies sei ein Einnahmeverlust von sieben Milliarden Euro im Jahr.
Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung können bereits ein Drittel der Arztpraxen keine Rücklagen mehr bilden. In diesen Fällen blieben dem Arzt noch 1400 bis 1800 Euro im Monat. Davon müsse aber noch die Altersversorgung bezahlt werden.
Auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe rechnet damit, dass immer mehr Ärzte ihre Kassenzulassung zurückgeben. Die Zahl der Praxisinsolvenzen nehme zu, sagte KV-Sprecher Andreas Daniel. Jährlich würden in Westfalen-Lippe 50 bis 60 Praxen aufgegeben.
Die symbolischen regionalen Praxisschließungen aus Protest gegen die Gesundheitsreform beginnen nach Angaben des Hartmannbundes vom 6. bis 8. Dezember im Hochsauerlandkreis und im Kreis Soest. Eine weitere Aktion erfolgt nach dem zweiten Advent in Weimar (Thüringen). Im nächsten Jahr folgen Baden-Württemberg, Brandenburg, das Saarland, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Hessen, Hamburg und Rheinland-Pfalz. In NRW sei die zweite Protestwelle vom 5. bis 10. Februar im Märkischen Kreis geplant.

Artikel vom 02.12.2006