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Giftspuren führen nach Russland

Auch bei zwei Bekannten von Litwinenko wurde Polonium 210 festgestellt

London (dpa). In der Affäre um den Gifttod des früheren russischen Geheimagenten Alexander Litwinenko richtet sich der Verdacht zunehmend gegen dessen ehemalige Kollegen.

Auch bei einem Familienmitglied Litwinenkos sind am Freitag Spuren von Polonium 210 festgestellt worden. Die Konzentration sei jedoch nicht hoch genug, um kurzfristig zu Gesundheitsschäden zu führen, teilte die britische Gesundheitsbehörde mit. Auch langfristig sei das Risiko einer Erkrankung sehr gering.
Scotland Yard hält es nach britischen Presseberichten für »wahrscheinlich«, dass der 43-jährige Litwinenko Opfer eines Komplotts von früheren oder jetzigen Mitarbeitern des russischen Geheimdienstes FSB wurde. Fest steht, dass der vor einer Woche gestorbene Exil-Russe mit der radioaktiven Substanz Polonium 210 vergiftet wurde. Die Obduktion, die am Freitag begann, soll klären, wann und wie dies geschah.der Leiche. Aus Sorge vor Verstrahlung mussten die Gerichtsmediziner Schutzkleidung tragen. Die Ermittler erhoffen sich auch Aufschluss darüber, woher das Polonium stammt. Nach Informationen der Zeitung »Daily Telegraph« gibt es Hinweise darauf, dass es aus einer bestimmten russischen Atomanlage ist.
Mit Hilfe der radioaktiven Spuren, die an einem Dutzend verschiedener Orte gefunden wurden, ist es der Polizei gelungen, die Wege des Opfers und der mutmaßlichen Täter durch London einigermaßen nachzuvollziehen. Der »Daily Telegraph« berichtete, dass die Täter vermutlich aus Versehen Polonium auf den Boden ihres Hotelzimmers fallen ließen. Möglich ist aber auch, dass eine falsche Spur gelegt werden sollte.
Auch auf Sitzen sowie in den Gepäckfächern einer British-Airways-Maschine, die am 25. Oktober nach London kam, wurden Spuren entdeckt. Die Zeitung »The Guardian« berichtete, der Verdacht richte sich gegen eine Gruppe von fünf Russen, die zum Champions-League- Spiel Arsenal London gegen ZSKA Moskau am 1. November nach Großbritannien kamen und kurz darauf abreisten. An diesem Tag fand vermutlich auch der mutmaßliche Giftanschlag statt. Dem »Guardian« zufolge gilt ein Mordauftrag aus der russischen Staatsführung jetzt als ausgeschlossen. Litwinenko könne aber von »Schurkenelementen« aus dem Staatsapparat getötet worden seien. Begründet wird der Verdacht damit, dass nur Profis in Russland Zugang zu staatlichen Nuklearlabors hätten und einen solchen Plan austüfteln könnten.
Auch bei dem italienischen Geheimdienstexperten Mario Scaramella, der sich am 1. November mit Litwinenko in einer Londoner Sushi-Bar getroffen hatte, sind Spuren von Polonium 210 festgestellt worden. Dies habe ein Urintest ergeben, berichtete die BBC. Scaramella zeige bislang keine Symptome einer Vergiftung. Es sei wahrscheinlich, dass auch er in der Sushi-Bar die radioaktive Substanz aufgenommen habe.
Der unter einer mysteriösen Erkrankung leidende russische Ex-Regierungschef Jegor Gaidar muss weiter in einer Moskauer Klinik behandelt werden. Gaidars Gesundheitszustand bessere sich zwar, eine Entlassung sei aber noch zu früh. Nach Gaidars Tochter Maria äußerten auch Parteifreunde den Verdacht, dass der Leiter eines Wirtschaftsforschungsinstituts vergiftet wurde. Eine Diagnose steht noch aus.

Artikel vom 02.12.2006