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Wort zum Sonntag

Heute von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs

Markus Jacobs ist Pfarrer in der katholischen Kirchengemeinde Heilig Geist.

Knapp vor dem ersten Advent hat die Weltöffentlichkeit ein religiöses Geschehen verfolgt, das man gar nicht genug wertschätzen kann. Der Papst ist mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, heute Istanbul, zusammengetroffen. Im Zuge dieses Besuches wurde in einer bislang nicht gekannten Weise auch die gemeinsame Friedensabsicht aller Religionen mit türkischen Vertretern des Islam in ausdrucksstarken Gesten bekundet. Die beiden christlichen Patriarchen haben dann zusammen das Fest des Heiligen Andreas begangen. Und dieses Fest liegt seit den frühesten Zeiten der Kirche auf dem 30. November, dem überlieferten Todestag des Apostels Andreas. Diese Vorgänge haben mehr mit dem Advent zu tun, als auf den ersten Blick zu vermuten wäre.
Um es gleich vorweg zu sagen: Es könnte sein, dass diese Begegnung die Ankunft Gottes in unserer Welt (dies ist die Übersetzung von Advent) mehr unterstützen wird, als viele Lichterketten in den Straßen, schöne Adventslieder oder gar die überfüllten Weihnachtsmärkte.
Denn die Kirche ist eine religiöse Gemeinschaft, die sich dennoch in der Nachfolge Jesu an Menschen bindet. Sie soll das Reich Gottes in unserer Welt voranbringen, sie soll bis zur endgültigen Wiederkehr Christi (dies ist die zweite Bedeutung des Advents) so viel wie möglich von der Botschaft Gottes weiter tragen.
Aber sie soll dies eben nach dem Willen Jesu nicht in rein spiritueller Weise tun. Denn Gott hat sich bei seiner ersten Ankunft, der Menschwerdung, an die konkrete menschliche Gestalt Jesu gebunden. Jesus selbst hat gezielt Apostel ausgewählt - durchweg sehr unvollkommene und angreifbare Menschen -, mit denen er einen Großteil seiner kostbaren Zeit verbrachte und ihnen sein Werk auf dieser Erde anvertraute.
Die gleiche Bindung an menschliche Konkretheit hat die Kirche seit ihren frühesten Zeiten fortgeführt. Bei aller Explosion der Zahl von Christen, bei aller räumlichen Expansion, blieb die Bindung an solche beauftragten Menschen in der Nachfolge der Apostel immer erhalten. Zwei dieser Apostel spielten dabei eine besondere Rolle, sie waren sogar ausgerechnet Brüder: Simon, genannt Petrus, und Andreas. Andreas war wahrscheinlich sogar der erste der Apostel, diese Erinnerung hält das Johannesevangelium wach. Er machte seinen Bruder Simon aufmerksam, Jesus berief auch diesen. Simon wiederum sollte irgendwann derjenige werden, von dem Jesus ausdrücklich sagte, dass er auf diesen Felsen (Petrus) seine Kirche aufbauen wolle.
Die Wirkungsstätten und Sterbeorte von Aposteln haben in der frühen Kirche zur Herausbildung von so genannten Patriarchensitzen geführt. Bischöfe an diesen Orten sollten angerufen werden, wenn zwischen anderen Bischöfen Unstimmigkeiten entstanden. Unter den Patriarchensitzen wiederum entstand noch einmal eine Art Rangfolge. Der Nachfolger des Petrus in Rom bildete in den folgenden Jahrhunderten die Stellung ab, die Petrus auch selbst im Kreis der Apostel eingenommen hatte. Der Nachfolger seines Bruders Andreas, der Patriarch von Konstantinopel (dieselbe Stadt hieß später Byzanz, heute Istanbul), hat seitdem jedoch die Ehrenstellung unter allen übrigen Patriarchensitzen inne. Zumeist wurden auf seinem Gebiet die Konzilien einberufen. Deshalb führte er das Wort »ökumenisch« sogar seit fast 1500 Jahren im Namen. Dialog auf dieser Ebene ist also der Ursprung und Maßstab aller Ökumene.
Als aber die politischen Wirren zu immer weiterer Trennung zwischen Rom und Konstantinopel führten, schlug sich dies auch in Funkstille, Vorwürfen und Spaltungen zwischen den beiden führenden Brüderpatriarchaten nieder. Doch die letzten Vorgänger des heutigen Bischofs auf dem Stuhl des Petrus und des augenblicklichen Nachfolgers des Andreas haben schon seit vierzig Jahren entscheidende Schritte zum gemeinsamen Neuanfang gemacht. Trotz der langen getrennten Wege wurde die Einheit nie vergessen. Es könnte somit sein, dass nun wirklich die Zeit für die allumfassende ökumenische Vereinigung gekommen ist.
Dies wäre ein unendlich kostbarer Beitrag zum endgültigen Advent, zur Vorbereitung der alles umspannenden Ankunft Christi in dieser Welt. Und dass auch andere Religionen, dass vor allem der Islam, durch diese christliche brüderliche Begegnung aus falschen Frontstellungen herausgerissen wird, könnte eine der schönsten Früchte des Vermächtnisses von Aposteln sein, die von ihren Gemeinden verlangten, dass »wer Gott liebt, auch seinen Bruder lieben soll«. (1 Joh. 4,21).

Artikel vom 02.12.2006