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Nicht nur James Bond
pokert um viel Geld

Glücksspiel beliebt - Casinos locken Anfänger und Profis

Von Dietmar Kemper
Bad Oeynhausen/Frankfurt (WB). Das Casino in Bad Oeynhausen bringt Anfängern oder Profis in ein- oder zweitägigen Seminaren Grundlagen und Kniffe des Pokerns bei. Vom 6. bis 10. Dezember werden dort jeden Tag bis zu 110 Spieler bei einem großen Turnier um Geld zocken. »Pokern ist schwer im Kommen«, weiß man im Casino.
Profi Joe Bartholdi aus San Diego gewann bei der Weltmeisterschaft der Pokerspieler im April in Las Vegas 3,7 Millionen Dollar. Foto: Reuters

Natürlich stehen nicht gleich 150 Millionen Dollar auf dem Spiel wie in der Pokerszene des neuen Bond-Films »Casino Royale«, aber auf einen satten Gewinn hoffen Tausende jedes Wochenende in Bad Oeynhausen und anderswo. Kenner der Glücksspielszene schätzen, dass etwa 800 000 Deutsche, zumeist junge Männer, in die Karten gucken und auf den »Royal Flush« hoffen. Weil nur in lizenzierten Casinos um Geld gespielt werden darf, geht es bei den immer zahlreicheren Turnieren in Kneipen um Sachpreise. Die Firma »Pokerwelle« aus Heilbronn zieht allein im Dezember 90 davon auf.
Gepokert wird auch im Internet und im Fernsehen. Sender wie Eurosport und das Deutsche Sportfernsehen (DSF) würden Pokern »als Sport verkleiden und vermarkten«, ärgert sich Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Fachverbandes Glücksspielsucht in Herford. Dabei werde so getan, als wenn die Fähigkeiten der Spieler über Gewinn oder Verlust entschieden. »Alles Quatsch, es kommt allein auf die Karten an«, betont Füchtenschnieder und bescheinigt Poker ein »hohes Suchtpotenzial«. Wer seinen Einsatz verliere, wolle das Geld zurückholen und könne so in eine verhängnisvolle Spirale geraten. Die Expertin befürchtet, dass die Aussicht auf Sachpreise auf viele Männer wie ein Köder wirkt und nur den Anfang bildet. Bald würden sie um Geld zocken wollen.
In Deutschland gibt es schätzungsweise zwischen 250 000 und 400 000 Glücksspielsüchtige. Gemeinsam haben sie die häufige Beschäftigung mit dem Spiel, die Bereitschaft zu immer höheren Einsätzen, misslungene Versuche, der Abhängigkeit zu entkommen, und die Hoffnung, dass andere Geld bereitstellen, um die eigene verzweifelte finanzielle Situation zu entschärfen. Familienmitglieder werden belogen, Diebstahl und Unterschlagung erwogen, um das Glücksspiel zu finanzieren. »Erst nach fünf bis zehn Jahren exzessivem Spielen kommen die Betroffenen in die Beratungsstellen«, sagte Füchtenschnieder dieser Zeitung. Sie hofft auf die Bundesländer, die zur Zeit den Lotterie-Staatsvertrag überarbeiten. »Wir sind für das Verbot von Glücksspielen im Internet«, betont sie.
Wieviel Geld sich im »Netz« scheffeln lässt, beweist diese Zahl: Marktführer PartyGaming steigerte seinen Umsatz zwischen 2002 und 2005 um fast 850 Millionen Dollar. Poker stoße »auf enorme Nachfrage« und sei das »am schnellsten wachsende Segment der Online-Glücksspielindustrie«, hat Sinisa Pavlekovic, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Frankfurt, herausgefunden. Der Poker-Boom sei von den USA »nach Europa geschwappt«, allein in Deutschland spielten 70 000 Menschen im Internet gegen andere um den »Pott«. Bei den Zockern handele es sich ganz überwiegend um »Männer zwischen 18 und 45 Jahren mit hohem Bildungsgrad und relativ hohem Einkommen«.

Artikel vom 02.12.2006