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Arbeitsminister
Franz Müntefering

»Das ist
eine gute
Entwicklung,
die Mut macht.«

Leitartikel

Das Warten hat ein Ende


Konjunktur am Arbeitsmarkt


Von Reinhard Brockmann
Das »Warten auf ein Wunder« (in Deutschland), wie der britische Economist noch 2005 titelte, hat schneller ein Ende, als alle zu hoffen wagten. Der Aufschwung zeigt Wirkung am Arbeitsmarkt.
Weniger als vier Millionen Arbeitslose sind ein klares Signal und 317 000 sozialversicherungspflichtige Vollarbeitsplätze mehr als vor zwölf Monaten ein starkes Argument. Nicht einmal die Erhöhung der Mehrwertsteuer mit der Brechstange könne die angesprungene Jobmaschine noch aus dem Takt bringen, frohlockt Frank-Jürgen Weise von der Bundesagentur für Arbeit.
Damit alles wieder so wird, wie es einmal war, brauchte Deutschland allerdings nach einer Faustregel von Friedrich Merz zwei, besser vier Millionen zusätzliche Volljobs. Davon kann keine Rede sein. Aber bald 500 000 Zahler statt Hilfeempfänger, die die Steuer- und Sozialkassen füllen, sind ein echtes Pfund.
Ähnlich den dieser Tage sprießenden Knospen in der vom Klima irritierten Natur kann dem Frühling im Herbst noch der schnelle Kältetod drohen. Dennoch ist Zuversicht beim Blick nach vorn erlaubt.
Schon tönt Unions-Fraktionschef Volker Kauder: »Wo die Union regiert, geht es den Menschen besser.« Auch Franz Müntefering und Kurt Beck schmücken sich mit dem neuesten Siegerkranz aus Nürnberg: »Jetzt fruchtet, was unter Rot-Grün begonnen wurde und mit dem Investitionsprogramm der großen Koalition fortgesetzt wurde.«
Der Erfolg hat viele Väter. Aber bevor wir auch noch Peter Hartz einen Platz in der Ahnengalerie neben Ludwig Erhard zuspielen, ist die Euphoriebremse zu treten.
Erst wenn der junge Bursche aus der Nachbarschaft einen Ausbildungsplatz finde, sagte dieser Tage Edmund Stoiber, merkten die Deutschen, dass es besser werde. Die Konjunktur müsse vor jeder einzelnen Haustür angekommen sein, bevor die Menschen ihre wohlbegründete Zurückhaltung beim Konsum wie bei den Umfragen endlich ablegten.
Natürlich wollen und sollen die Deutschen sich freuen, wenn die Verlierer- und Schlusslichtjahre in Europa zu Ende gehen. Aber dazu braucht es mehr als einige positive Zahlen von den Volkswirten.
Jeder zweite der immer noch vier Millionen Menschen ohne Arbeit ist ein Jahr und oft sehr viel länger aus dem Geschäft. Viele von Ihnen werden den Anschluss an eine völlig veränderte Arbeitswelt hierzulande ohne Nachhilfe nicht mehr finden. Und: 600 000 bei den Arbeitsagenturen gemeldete offene Stellen bedeuten weit mehr als Facharbeitermangel in Spezialbranchen.
Agenturen und Job-Center müssen jetzt alles daransetzen, ihre vielfältigen und über Jahre ausgebauten Qualifikationsangebote umzustricken auf die neue Nachfrage jener Branchen, in denen wieder die Post abgeht. Raus aus der Beschaffung von beliebiger Beschäftigung, rein in Schweißkurse, Computerschulungen und solche Trainings, die seit Monaten wieder direkt auf echte Arbeitsplätze führen. Nur mit Realitätssinn werden Wunder wahr.

Artikel vom 01.12.2006