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EU tritt in Türkei-Frage auf die Bremse

Verhandlungen verlangsamt - Brok kritisiert »wachsweiches Verhalten«

Brüssel (dpa). Mit einer Verlangsamung der Beitrittsverhandlungen will die Europäische Union die Türkei zu einem Einlenken im Streit um Zypern zwingen. Die Behörde empfahl gestern in Brüssel, Verhandlungen in acht Themenbereichen wie Landwirtschaft, Fischerei oder freier Warenverkehr gar nicht erst zu beginnen.

Ausverhandelte Themen sollten nicht förmlich abgeschlossen werden, sagte EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn. »Das bedeutet nicht, dass wir das Verfahren einfrieren. Es wird verlangsamt. Der Zug kann weiterhin fahren«, fügte er hinzu. Das letzte Wort haben die EU-Außenminister bei ihrem Treffen am 11. Dezember.
Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok (Bielefeld) kritisierte die Kommissionsempfehlung scharf. »Sowohl die amtierende Ratspräsidentschaft als auch die Kommission haben eingestanden, dass die Suche nach einer Lösung in der Frage des Ankara-Protokolls zur Zollunion an der Unnachgiebigkeit der Türkei gescheitert ist.« Es reiche aber nicht aus, wenn die Kommission jetzt als einzige Konsequenz daraus lediglich empfehle, die handels- und zollrelevanten Verhandlungskapitel auszusetzen. Es dürfe kein neues Verhandlungskapitel mehr geöffnet werden, bevor die Türkei nicht ihren rechtlichen Verpflichtungen nachgekommen sei.
Die SPD-Europaabgeordnete Mechtild Rothe aus Bad Lippspringe begrüßte die Entscheidung: »Die Kommission durfte die Haltung der Türkei in der Zypernfrage nicht einfach ignorieren.« Rothe kritisierte die Forderung der Christdemokraten im Europaparlament, die Beitrittsverhandlungen kompromisslos abzubrechen. »Da hat die Kommission den goldenen Mittelweg gefunden.«
Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, betonte, die Türkei verstehe nur eine klare Sprache. Premierminister Recep Tayyip Erdogan werde das wachsweiche Verhalten von Kommission und Rat bei den Beitrittsverhandlungen als Schwäche verstehen und in seinem Sinne umzumünzen wissen. Brok: »Erdogan ist ein geschickter Taktiker.«
Hintergrund für die Entscheidung der EU ist die Weigerung Ankaras, Schiffen und Flugzeugen des EU-Mitgliedsstaates Zypern Zugang zu türkischen See- beziehungsweise Flughäfen zu gewähren. Die finnische EU-Ratspräsidentschaft hatte erst am Montag öffentlich erklärt, dass Gespräche mit der türkischen und zyprischen Seite zur Lösung des Streits gescheitert seien.
»Wir wollen als EU, dass das Ankara-Protokoll implementiert wird«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des NATO-Gipfels in Riga. Ein entsprechender Vorschlag der EU-Kommission sei ein starkes Signal dafür. Es sei wünschenswert, dass die Mitgliedstaaten nach einer Zeit von 18 Monaten überprüfen könnten, wie die Verhandlungen voranschritten.

Artikel vom 30.11.2006