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53-Stunden-Woche: Richter
beklagen Überlastung

Wahlen im Zeichen von Stellenabbau und Besoldung

Bielefeld (uko). Unter dem Eindruck einer »alarmierenden Lage der Justiz« finden heute an nordrhein-westfälischen Gerichten die Wahlen zu den Richterräten statt. Amtsrichter Christian Friehoff, Chef des Richterbundes im Bezirk, forderte nachdrücklich eine Besoldungserhöhung und einen »Stopp des Stellenabbaus«.
Zu den Wahlen treten heute erstmals drei Listen an: Für den Hauptrichterrat (auf Landesebene) und den Bezirksrichterrat (auf der Ebene des Oberlandesgerichtsbezirks Hamm) stehen neben dem alteingesessenen Deutschen Richterbund die ver.di-Liste und der neugegründete Amtsrichterverband zur Wahl. Animositäten und gegenseitige Anschuldigungen (Amtsrichterverband: »Untätigkeit«; Richterbund: »Inkompetenz«, »gefährliche Kritik«) gibt es sind nicht nur Zeichen der Konkurrenz.
Dabei sieht die Arbeitslage für Richter besonders am Amtsgericht Bielefeld düster aus: Derzeit 43 Richter sind so öffentlich überlastet, da nach einer offiziellen Erhebung ad hoc zwölf Stellen mehr geschaffen werden müssten
Nach einer Personal-Bedarfs-Berechnung einer Kommission der Justizministerkonferenz der Länder (PEBBSY) ist die Arbeitswoche eines Amtsrichters mit 53 Stunden bemessen worden. Zum Vergleich: Danach arbeitet ein Richter am Oberlandesgericht exakt 40,7 Stunden - das bedeutet für die Richter am Amtsgericht eine Mehrbelastung von 29 Prozent.
Die Schieflage solcher Berechnungen zeigt sich besonders in der Auflistung der jeweiligen Sachen in verschiedenen Dezernate: So soll eine »normale« Scheidung in 200 Minuten ausgeurteilt sein, eine güterrechtliche Scheidung indes wird mit 450 Minuten Dauer bemessen, ein Unterhaltsverfahren jedoch nur mit 280 Minuten und eine streitige Entscheidung um das Sorgerecht von Kindern gar nur mit 210 Minuten. Ein Bielefelder Richter: »Das ist doch ein Witz, wir haben doch fast nur noch streitige Scheidungen.«
Steuerstrafsachen, die von Schöffengerichten bearbeitet werden, hingegen dürfen mit 970 Minuten zu Buche schlagen, allgemeine Strafsachen vor Jugendschöffengerichten dagegen nur mit 280 Minuten (obwohl in diesen Prozessen häufig mehrere Angeklagte und schwere Delikte behandelt werden). Vor diesem Hintergrund wetterte Christian Friehoff gegen eine Besoldung, die unter dem Durchschnittseinkommen in 47 europäischen Staaten liege. »Nur schwedische Richter und Staatsanwälte in Moldawien bekommen weniger als wir.«

Artikel vom 30.11.2006