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Der dolle Typ hat noch Kredit

Trainer Thomas Doll und das Kellerkind HSV: Frist bis zur Winterpause

Von Klaus Lükewille
Bochum (WB). »Ich spüre das Feuer noch in mir.« Wirklich? Als Thomas Doll nach dem 1:2 gegen die Bayern diesen Satz gesagt hatte, sah der Trainer des Hamburger SV nicht so aus, als wenn er »brennen« würde. Sein Blick ging dabei ins Leere: enttäuscht, erschöpft, geschlagen und schwer angeschlagen.

Am 18. Oktober 2004 übernahm der Fußball-Lehrer das Amt. Ein großer Karrieresprung, denn von den Amateuren rückte er auf die Bank der Profis. Damals war der HSV Tabellenletzter. Heute, zwei Jahre danach, steht er wieder ganz unten. Platz 17. Alarm, Alarm, höchste Abstiegsgefahr. Dazwischen führte Doll die Elf 2005 auf Rang acht und zuletzt als Liga-Dritter in die Königsklasse.
Erfolge, von denen der Trainer heute noch zehrt. Er hat viel Kredit. Immer noch. Aber irgendwann, das weiß auch Doll, ist der aufgebraucht. 22 Spiele, nur ein Sieg. Eine deprimierende Bilanz. An diesem Samstag steigt das Keller-Duell in Bochum. Dann kommt Nürnberg, anschließend geht die Reise nach Aachen. Und wenn der HSV in diesen letzten drei Spielen vor der Winterpause nicht endlich mal wieder Dreier einfährt, dann ist der Zug für den Trainer wohl abgefahren.
»Doll hat den sichersten Arbeitsplatz in der Liga«, verkündete der Vorstandschef noch vor Wochen. Das würde Bernd Hoffmann heute in dieser Deutlichkeit nicht mehr sagen. Aber vorerst hat die Trainer-Treue Bestand. Dieser dolle Typ ist ja auch so fleißig, total ehrgeizig, voll engagiert. Das Hamburger Konzept soll angeblich nur mit ihm umgesetzt werden können - behauptete Sport-Direktor Dietmar Beiersdorfer nach der letzten Heimpleite gegen den Titelverteidiger aus München immer noch: »Wir brauchen Doll.«
Musik in des Trainers Ohren ist das aber längst nicht mehr. Da hat er am vergangenen Samstag in der AOL-Arena auch schon andere Töne gehört. Als er seinen erschöpften und leicht verletzten Kapitän Rafael van der Vaart in der Schlussphase vom Rasen holte, gab es laute Pfiffe. Die galten nur ihm, dem Mann auf der Bank.
»Doll raus« haben sie in der Fankurve noch nicht gerufen. Aber ein paar restlos bediente Tribünen-Besucher brüllten ihre Enttäuschung in Richtung Rasen. Für sie war der Fall klar: Der Trainer muss gehen. Sofort.
Doch noch ist Doll da. Ein so netter und sympathischer Kerl, den man einfach nicht entlassen kann. Es hat fast den Anschein, dass dieser Trainer mit jeder neuen Niederlage zwar keine Zähler bucht - aber trotzdem Punkte sammelt. Dabei sollen hinter verschlossenen Türen die Summen für den Tag X bereits ausgehandelt worden sein. 600 000 Euro, wenn Doll freiwillig geht. 900 000 Euro, wenn der HSV ihn kippt.
Sein Vertrag läuft bis zum 30. Juni 2008. Aber was heißt das schon? Der Trainer spielt die Rolle des gelassenen Realisten: »Dass jetzt viele Leute aus ihren Schützengräben kommen, ist in unserer Neid- und Machtgesellschaft doch völlig normal.« Ansonsten hat er nicht mehr viel Neues zu erzählen, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Denn sein Rede-Repertoire, das die verunsicherte, überforderte und zudem noch stark ersatzgeschwächte Mannschaft motivieren sollte, es ist erschöpft.
Das hörte sich immer wieder so an:
Ärmel aufkrempeln. Den Hebel umlegen. Der Knoten muss platzen. Wir kämpfen weiter. Jetzt erst recht. Wir stehen wieder auf.
Antriebs-Sätze aus dem Fußball-Keller. Schon tausendmal gehört. Wenn Doll seine Elf zu der so wichtigen Partie gegen Bochum auf den Platz schickt, will er vorher nicht lange sprechen. Es ist alles gesagt. Beim HSV helfen keine Worte - nur noch Taten.

Artikel vom 02.12.2006