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In der Uckermark darf der
Landwirt noch aufbauen

Verler wagen Neuanfang in Gollmitz -ÊHof wächst jedes Jahr

Von Bernhard Hertlein
Gollmitz/Verl (WB). Bauern hängen an ihrer Scholle. Trotzdem ließen sie sich von Katharina der Großen nach Russland locken, flohen während des Dreißigjährigen Krieges vor dem deutschen Elend nach Ungarn oder suchten Religionsfreiheit in den Vereinigten Staaten. Bauern findet man zu allen Zeiten unter den Auswanderern.

Zuletzt ist es um diese Gruppe allerdings still geworden. Wenn der heimische Hof das Auskommen nicht mehr sicherte, suchte man Zusatzverdienste und neue berufliche Möglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft. Doch in jüngster Zeit, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, zieht es Bauern wieder hinaus in die Welt. Neben dem Sonderfall Paraguay, wohin vor allem Mennoniten auch aus Ostwestfalen-Lippe auswandern, locken die großen Flächen früherer Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPGs) in der früheren DDR und Polen unternehmerische Bauern aus dem Westen.
»Unser Hof in Verl hatte auf Dauer keine Überlebenschance«, erklärt Hermann Großerüschkamp (42). Insgesamt 80 Hektar Land, davon der größte Teil in Pacht, und 100 Kühe seien auf Dauer zu wenig gewesen. Heute erinnert ein »Ortsschild« an der Einfahrt zum Hof Gollmitz bei Prenzlau in der Uckermark an die Herkunft der Besitzer. »486 Kilometer nach Verl« steht dort schwarz auf gelbem Grund.
Die Entscheidung fiel nicht über Nacht. 30 Höfe hat Großerüschkamp in der Mitte der neunziger Jahre unter die Lupe genommen, davon einige auch in Polen. Am Ende gaben Ehefrau Britta (41) und die drei Kinder Rene (heute 12), Friederike (17) und Katarina (18) den Ausschlag dafür, dass der Neuanfang auf dieser Seite der Staatsgrenze gewagt wurde.
Leicht war es nicht. Die Familie zog 1998 zunächst nicht auf den Hof, sondern in sehr beengte Wohnverhältnisse im Dorf Gollmitz. Das Zusammenspiel mit den Partnern in der GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) »Stromtal« und mit einem Teil der früheren LPG-Belegschaft, die am Althergekommenen hing, erwies sich als sehr schwierig. Die Familie kostete die Auseinandersetzung viele Nerven und auch Geld: Am Ende wurden die Altgesellschafter ausgezahlt und ein Teil der Belegschaft ausgetauscht.
Seitdem geht es in großen Schritten aufwärts. Die Milchleistung des Hofes kletterte von 5500 auf 9700 Liter. Der Weizenertrag erhöhte sich je Hektar von 4,5 auf 7,5 Tonnen. Mit fünf eigenen und 940 Hektar Pachtfläche fing Großerüschkamp an. Heute befinden sich in Gollmitz 350 Hektar im Eigentum der Familie. Im Juli 2006 kamen 400 Hektar Pachtfläche in Hardenbeck, 15 Kilometer vom Stammbetrieb entfernt, dazu. Davor, im Herbst 2004, hatte der Verler schon ein Angebot des polnischen Staates angenommen. Gemeinsam mit einem aus dem westfälischen Halle stammenden Spediteur pachtete Großerüschkamp einen Gutshof mit 530 Hektar für mindestens 15 Jahre.
Klar fragt sich die Familie manchmal, ob sie sich nicht zuviel zumutet. Aber man ist mit großem Spaß dabei. Und bisher ist jede Rechnung aufgegangen. Verglichen mit den anderen Gutshöfen ist Gollmitz im Osten Brandenburgs nur »guter Durchschnitt«. Eine benachbarte Aktiengesellschaft bewirtschaftet 7000 Hektar und 2500 Kühe.
Außer den Großerüschkamps ernährt der Hof neun Familien. Dazu kommen drei Mitarbeiter in Polen. Viel Geld wurde auch in den Maschinenpark investiert; er umfasst neben sechs Traktoren mit Ausnahme eines Rübenernters jetzt »das volle Programm«. Stallungen und Wirtschaftsräume wurden mit erheblichem Aufwand umgebaut - nicht immer übrigens mit freudiger Unterstützung der Behörden. Ansonsten hat sich die Familie, die heute ein einfaches Haus auf Gut Gollmitz bewohnt, gut eingelebt. Der Erfolg und die Tatsache, dass sie trotz höherer Personalkosten Mitarbeiter aus der Gemeinde beschäftigt, werden ihr positiv angerechnet. Natürlich gehen die Gedanken trotzdem oft in Richtung Verl. Dort wurden Land und Milchquote verkauft. Doch die Familien und Freunde wohnen nach wie vor in Ostwestfalen. In der Anfangszeit kamen einige sogar im Urlaub, halfen beispielsweise bei der Ernte. »Über ihr Pensum haben hier manche ordentlich gestaunt«, erzählt Großerüschkamp.
In Verl endete der Blick in die Zukunft beim nächsten Generationswechsel. »Wir konnten doch niemand mit gutem Gewissen zumuten, den Betrieb auf der damaligen Basis weiterzuführen«, erinnert sich Britta Großerüschkamp. In Gollmitz ist das anders. »Dieser Hof hat seine Zukunft noch vor sich.«

Artikel vom 02.12.2006