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Vor Spaltung der NATO gewarnt

Kanzlerin Merkel weist jeden Zweifel an ihrer Bündnistreue zurück

Riga (dpa). Der Kampfeinsatz in Afghanistan stört weiter den inneren Frieden der NATO. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Staatschef Jacques Chirac wiesen gestern zum Abschluss des NATO-Gipfels im lettischen Riga jeden Zweifel an ihrer Bündnistreue zurück.

US-Präsident George W. Bush hatte zuvor unter Verweis auf die Beistandspflicht im NATO-Vertrag mehr Engagement aller Bündnispartner im umkämpften Süden Afghanistans eingefordert. Als Geste der Versöhnung luden die Staats- und Regierungschefs Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro zu einer Partnerschaft ein. Mazedonien, Kroatien und Albanien können sich Hoffnungen machen, 2008 zum Beitritt in die Allianz eingeladen zu werden.
Merkel warnte zum Abschluss des zweitägigen Treffens vor einer Spaltung des Bündnisses. »Afghanistan einfach in gefährliche und ungefährliche Zonen einzuteilen, halte ich für falsch«, sagte sie. Das sei weder für Afghanistan noch für das Bündnis hilfreich. »Das deutsche Engagement in Afghanistan wird hoch geschätzt.« Deutschland hat bis zu 3000 Soldaten in Nordafghanistan, das als vergleichsweise ruhig bezeichnet wird, stationiert. Merkel hob hervor, Deutschland sei bisher allen Anforderungen gerecht geworden.
Für Unmut hatte Bush gesorgt, als er die Beistandspflicht des Artikels 5 auf Auslandseinsätze der Alliierten übertrug und bei Angriffen auf US-Soldaten unbedingte Unterstützung forderte.
Chirac widersprach dieser Auslegung. »Wir haben eine Militärorganisation, die nach bestimmten Regeln funktioniert«, sagte Chirac. »Und ich bin nicht dafür, diese Regeln zu ändern.« Er kündigte - wie andere Alliierte auch - eine Verstärkung des französischen Engagements an. Bisher sind die 1100 französischen ISAF-Soldaten fast nur in der afghanischen Hauptstadt Kabul stationiert. »Künftig werden sie fallweise auch außerhalb Kabuls eingesetzt werden können«, sagte Chirac.
Der kanadische Premierminister Stephen Harper zeigte sich nicht zufrieden mit den Zusagen. »Wir haben weiter zu wenig Soldaten«, sagte er. 40 kanadische Soldaten starben in diesem Jahr in Afghanistan. Im Kampf gegen die Taliban stellen neben Kanada und den USA vor allem Großbritannien und die Niederlande Truppen im Süden.
Merkel und Chirac waren sich einig, dass der zivile Wiederaufbau in Afghanistan mit der militärischen Operation einhergehen müsse. »Afghanistan ist (...) auch eine Frage von Sicherheit und Entwicklung«, sagte Chirac. Er begrüßte die Bildung einer internationalen »Kontaktgruppe«, zu der wichtige Geberländer wie Japan, die Weltbank, die Europäische Union und andere interessierte Organisationen gehören sollen.
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer zeigte sich besonders zufrieden, dass die NATO-Staaten die gegenseitige Hilfe in Notfällen beim Einsatz in Afghanistan bekräftigten. »Es gibt die klare Verpflichtung«, sagte er. Nach seinen Angaben haben einige Alliierte ihre Einsatzbeschränkungen verringert, so dass nun 22 000 der insgesamt 32 000 Soldaten der Schutztruppe ISAF besser eingesetzt werden können.
Merkel hob ausdrücklich hervor, dass es keine Festlegung gebe, mit welchen Truppen oder Fähigkeiten Verbündete unter Beschuss geratenen NATO-Partnern zu Hilfe kommen müssen. »Im Notfall werden wir natürlich Hilfe leisten.« Sie nannte Lufttransport, Sanitätsdienste und Aufklärung. Von Kampftruppen sprach sie nicht.
Sieben Jahre nach dem Kosovo-Krieg bot die NATO Serbien eine Partnerschaft an. Die Allianz erwartet uneingeschränkte Zusammenarbeit der serbischen Führung mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und Unterstützung bei der Auslieferung von Kriegsverbrechern wie dem untergetauchten Ex-General Ratko Mladic.

Artikel vom 30.11.2006