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Der Weg der
Tröpfcheninfektion

Bielefelder an EU-Projekt beteiligt

Bielefeld (sas). Nach einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben etwa vier Millionen Menschen jährlich an einer Entzündung der Lunge oder der Bronchien. Weitere 1,6 Millionen Tote fordert die Tuberkulose. Damit sind diese Erkrankungen weltweit Todesursache Nummer 1. Dennoch: Ihre Übertragungsmuster sind kaum bekannt.

Nun weiß man selbstredend, dass - wie bei der Grippe, wie bei Masern und bei Röteln - die Übertragung durch eine Tröpcheninfektion geschieht. »Aber anders als bei sexuell übertragbaren Krankheiten wie HIV und Hepatitis B ist das Kontaktmuster nicht erforscht«, sagt Prof. Dr. Alexander Krämer. Der Mediziner lehrt und forscht an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld im Bereich der Bevölkerungsmedizin. Und gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Dr. Mirjam Kretzschmar und Dr. Rafael Mikolayczyk ist er an einem hochkarätigen EU-Projekt beteiligt, das genau diese Kontaktmuster beschreiben und modellieren will.
SARS und Vogelgrippe hätten die Politiker sensibilisiert und aufgeschreckt, meint Krämer. Immer neue Entwürfe und Horrorszenarien verdeutlichten, wie wenig man über die Verbreitungsmuster weiß. Also wurde vor zwei Jahren unter Federführung der britischen Health Protection Agency das Forschungsprojekt bewilligt und wird von der EU mit 1,5 Millionen Euro gefördert. Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel der Weltbevölkerung latent mit dem Tuberkulosebazillus infiziert ist, wird verständlich, dass Epidemiologen und Ökonomen wissen wollen, mit welcher Dynamik und nach welchem Kontaktmuster sich diese und andere durch Tröpfcheninfektion übertragene Krankheiten verbreiten.
»Natürlich ist auch entscheidend, wie virulent ein Keim ist und auf welche Immunlage des ÝWirtsÜ ein Erreger trifft«, erklärt Krämer. Als Bevölkerungsmediziner will er aber die allgemeinen Risiken kennen und erfragt deswegen auch das Freizeitverhalten der Menschen und ihre Treffpunkte. Die Pilotstudie erfolgte mit Studenten und Schulklassen, nun werden Kontaktmuster europaweit erfragt - stets mit dem Gedanken der Modellierung von Ausbreitungsverläufen.
Auch wenn Infektionskrankheiten bei uns nicht die Rolle spielen, die sie in Entwicklungsländern haben, so verzeichnet die WHO doch ihre Rückkehr: »Allein vier Millionen Bundesbürger reisen jährlich in ferne Länder, dazu kommt die Migration.« Das sorgt, wie das Beispiel SARS belegte, für eine rasche Verbreitung von Infektionen - auch ohne besonderes »Risikoverhalten« wie bei sexuell übertragbaren Erkrankungen. Unwissentlich Infizierte können im Beruf, im Bus, im Kino in wenigen Tagen zahllose Kontakte haben.

Artikel vom 01.12.2006