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Wo das Gehirn Sprache versteht

Max-Planck-Direktorin Prof. Angela Friederici im ZiF der Universität

Bielefeld (sas). Den kleinen Unterschied gibt es auch beim Verstehen von Sprache: Frauengehirne reagieren auf eine glückliche oder unglückliche Intonation des simplen Satzes »Ich komme gerade vom Essen« prompt. Bei Männern dauert es länger. Und überhaupt: Auf Informationen, die »Ihm« die Sprachmelodie einer Aussage liefert, reagiert »Er« erst, »wenn die Umstände es erfordern.«

Mit diesem kleinen Seitenhieb als abschließendes Schmankerl hat Prof. Dr. Angela Friederici, Leipziger Max-Planck-Direktorin und vielfach ausgezeichnet, ihren öffentlichen Abendvortrag im Zentrum für interdisziplinäre Forschung abgeschlossen. »Wie verstehen wir Sprache?« fragte sie. Und die Psychologin und Sprachwissenschaftlerin, die der Leitung der Deutschen Sprachentwicklungsstudie angehört und seit sechs Jahren den Spracherwerb von mehr als 200 Kindern systematisch begleitet, gewährte den zahlreichen Zuhörern Einblicke in das aktive Gehirn.
Kindlicher Spracherwerb war gleichwohl nicht ihr Thema: Da die Wissenschaftler moderne bildgebende Verfahren einsetzen, um Gehirnaktivität zu messen, bestimmte Verfahren aber eine aktive, gezielte Mitwirkung verlangen, wurden zahlreiche Studien mit erwachsenen Versuchspersonen gemacht - in der Regel Studierende, also eine mit Blick auf die Bildung homogene Gruppe.
Die allgemeine Meinung ist, dass im Gehirn das Broca-Areal und das Wernicke-Areal (benannt nach ihren Entdeckern) für Sprachproduktion und Sprachverstehen zuständig sind. Angela Friederici und ihre Mitarbeiter wollten es genauer wissen, setzten EEC, MEC und funktionelle Magnetresonanztherapie ein und konfrontierten ihre Probanden mit sinnvollen und sinnlosen Sätzen im Stile von »Das Baby wurde gefüttert. Das Lineal wurde gefüttert. Die Gans wurde im gefüttert.«
Das Ergebnis: In der linken Hirnhälfte wird die akustische »Eingabe« verarbeitet. Zunächst wird die Syntax (Satzbau und -struktur) erfasst, danach die Bedeutung des Gehörten. Bei Fehlern hakt das Gehirn sozusagen ein. »Semantisch inkorrekte Sätze fordern vom Gehirn mehr Aktivität«, hat Angela Friederici festgestellt. Stolpert das Gehirn über eine fehlerhafte Syntax, wird das »frontale Operculum« einbezogen, ein dem Broca-Areal benachbartes Gebiet.
»Wenn es ein semantisches und syntaktisches Netzwerk gibt, fragt sich, welche Funktion das Broca-Areal hat«, formulierte Angela Friederici die Anschlussfrage. Sie hat die Antwort gefunden: Es kommt ins Spiel, wenn der Satzbau kompliziert wird und Sätze verschachtelt oder ungewöhnlich strukturiert sind. Das Gehirn reagiert darauf binnen 150 Millisekunden, analysiert sie und korrigiert binnen 600 Millisekunden.
Aber auch die rechte Hirnhälfte bleibt nicht untätig. Sie verarbeitet die Prosodie, die Satzmelodie, die Intonation - und zwar in den Hirnarealen, die denen in der linken Hemisphäre entsprechen, in denen Syntax und Semantik begriffen werden.
Zusammengefügt werden die Informationen über den »Corpus callosum«, die Hirnstrukturen, die beide Hemisphären verbinden. Wie das funktioniert, haben die Wissenschaftler durch Schlaganfallpatienten gelernt, genauer durch Menschen, bei denen ausgerechnet der Corpus callosum von dem Hirninfarkt betroffen war. In dessen hinterem Drittel verlaufen die wichtigsten Verbindungen, und Läsionen an dieser Stelle wirken sich gravierender aus. »Auf semantisch fehlerhafte Sätze - Ýdas Lineal wird gefüttertÜ - haben sowohl die Patienten mit Schlaganfall im vorderen als auch die mit Läsionen im hinteren Bereich des Corpus callosum reagiert, genau wie eine Kontrollgruppe«, sagt Angela Friederici. Bei Fehlbetonungen und falschen Sprechpausen haben die Patienten mit Beeinträchtigungen im hinteren Corpus callosum nicht aufgemerkt. »Darüber läuft also offenkundig die Verbindung.«
Allerdings: Auch die Information, die die Sprachmelodie liefert, kann in der linken Hirnhälfte verarbeitet werden - wenn sie eine lexikalische Funktion hat wie im Chinesischen, wo die Tonhöhe eine semantische Information (Wortbedeutung) vermittelt.
Wird eine Fremdsprache gelernt, kommt der präfrontale Cortex (das Stirnhirn) ins Spiel. Er ist beim strategischen Denken aktiv - und eben auch, wenn erlernte, nicht von klein auf erworbene Sprache verstanden und produziert wird. Schon Babys, die erst wenige Monate alt sind, reagieren auf Unterschiede, wie Versuche mit deutschen und französichen Säuglingen ergaben: Die deutschen Kleinkinder lernten den auf der ersten Silbe betonten »Papa«, die kleinen Franzosen werden mit dem »papa« groß. Und alle merkten bei Abweichungen auf.
Für Anthropologen dürfte eine weitere Erkenntnis der Forscher interessant sein: »Das frontale Operculum ist offenkundig ein älteres Hirnareal«, sagt Angela Friederici. Versuche mit einer einfachsten »Grammatik« zeigten, dass es beim Menschen ebenso wie beim Affen aktiviert wird. Wird die Grammatik hierarchischer, komplizierter, kommt beim Menschen das Broca-Areal ins Spiel. Und das hat der Affe nicht.

Artikel vom 01.12.2006