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Durchbruch bei der
Nieren-Transplantation

Neue Methode: Tübinger Ärzte eliminieren Antikörper

Von Dietmar Kemper
Tübingen (WB). Nierenspenden sind künftig leichter möglich. Weltweit zum erstenmal haben Ärzte des Universitätsklinikums Tübingen einem 18-Jährigen eine Niere seiner gesunden Mutter eingesetzt, obwohl Blutgruppe und Gewebe unterschiedlich sind.

Bei der Operation konnte sogar die Milz des Organempfängers erhalten werden. »Dem Patienten geht es gut«, sagte der behandelnde Arzt Oliver Amon gestern dieser Zeitung. Der Eingriff sei bereits im Juli erfolgt. Wegen des kritischen Gesundheitszustandes von Fitim Gashaj »haben wir etwas Neues gewagt«, erklärte Amon. Durch eine spezielle Blutwäsche wurden sowohl die Antikörper gegen die Blutgruppe der Mutter als auch die gegen das Gewebe des Lebendorgans entfernt; Medikamente verhinderten, dass das Immunsystem des Türken die Antikörper erneut produziert.
Jetzt könnten mehr nahe Angehörige innerhalb der Familie eine Niere spenden, sagte Oliver Amon. Die »Vermehrung der Lebendspenden« bezeichnete er als »Ausweg« aus dem Dilemma, dass die Zahl der Dialysepatienten viel höher ist als die Summe der verfügbaren Organe von verstorbenen Menschen. In Deutschland warten 12 000 Kinder, Frauen und Männer auf eine Niere, durchschnittlich vergehen bis zur Transplantation sieben Monate oder mehr. »Viele Dialysepatienten sterben, bevor es so weit ist«, bedauerte Amon. Bei den Lebendorganen sei die Transplantation bislang in 30 Prozent der Fälle an der unterschiedlichen Blutgruppe und in zehn Prozent an unverträglichen Gewebemerkmalen gescheitert, berichtete der Arzt.
Die in Tübingen erfolgreich praktizierte Methode werde »die Situation der 85 000 Kranken etwas entschärfen, aber das Problem des Organmangels nicht beseitigen«, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Niere in Mainz, Christian Frentzel, gestern dieser Zeitung. Zudem sieht er ethisch-moralische Probleme: »Was ist, wenn der Organspender selbst krank wird und eine Niere braucht?« Deshalb seien Nieren von Menschen, die etwa bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, in Zweifelsfällen die einfachere Lösung.
Das Leben der etwa 60 000 Dialysepatienten in Deutschland hänge von einer Maschine ab, die den Körper entgiftet. Drei- bis viermal in der Woche müssen viele Nierenkranke zur Dialyse und sich bis zu fünf Stunden lang behandeln lassen. Viele leiden unter Mattheit und haben Probleme mit dem Kreislauf. Außerdem müssen sie eine spezielle Diät einhalten und dürfen am Tag nicht mehr als 500 Milliliter Flüssigkeit zu sich nehmen. »Deshalb leiden sie speziell im Sommer unter permanentem Durstgefühl«, sagte Frentzel.

Artikel vom 29.11.2006