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Axel Springer war mit seiner
Idee eine Nasenlänge voraus

Jubiläumsausgabe erscheint Freitag in Goldfolie und mit altem Titelbild

Hamburg (WB). 12 Seiten, 250000 Exemplare, das Stück für 30 Reichspfennige. Am 11. Dezember 1946 schrieb Axel Springer Rundfunkgeschichte - und das ausgerechnet mit einem Druckerzeugnis. Nun wird Deutschlands erstes Programm-Magazin, »HÖRZU«, 60 Jahre alt. Und feiert das mit einer Jubiläumsausgabe, die am Freitag erscheint. Zum Jahrestag sendet die ARD am 10. Dezember um 23.30 Uhr den Film »Eine Zeitschrift macht Programm«.

Dem Fernsehen ist HÖRZU als Programmzeitschrift bis heute immer eine Woche voraus, verlautet nicht ohne Stolz aus dem Hause Springer. Doch als sie noch vor der Bundesrepublik Deutschland das Licht der Welt erblickte, war sie ihrer eigentlichen Bestimmung sogar um Jahre voraus. Als der junge Verleger Axel Springer im Juni 1946 von der britischen Besatzungsmacht die Lizenz für eine Programmzeitschrift bekam, war an Fernsehen im Nachkriegsdeutschland noch nicht zu denken. Nur einige wenige Hörfunksender hatten die Erlaubnis der Alliierten in den Besatzungszonen bekommen. Doch bereits im Editorial der Erstausgabe am 11. Dezember 1946 ließ ihr damaliger Chefredakteur und »Erfinder«, der Journalist, Schrifsteller und Ingenieur Eduard Rhein, die Katze aus dem Sack: »HÖRZU hält den Rundfunk nur für eine Vorstufe des farbigen, plastischen Fernsehrundfunks.«
Diese im wahrsten Sinne des Wortes »visionäre Haltung ihrer Macher« habe fortan das souveräne Profil der HÖRZU bestimmt, heißt es weiter. Ihr familiärer, unaufgeregter Charakter voller Optimismus und moralischer Stärke, stets dem Guten zugewandt, habe sich durchgesetzt. Immer im Blick: die Bedürfnisse der Leserinnen und Leser. So verwunderte es auch nicht, dass es HÖRZU immer wieder schaffte, mit den atemberaubenden gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte Schritt zu halten. 1950 wurde die magische Auflage-Grenze von einer Million Stück geknackt.
Heute wie damals ist HÖRZU damit der Europameister unter den wöchentlichen Programm-Magazinen: etwa 4,5 Millionen Leserinnen und Leser regelmäßig. Die verkaufte Auflage betrug im dritten Quartal dieses Jahres 1,6 Millionen Exemplare. Die Jubiläumsausgabe ist mit insgesamt 268 Seiten das umfangreichste Heft aller Zeiten. Der Titel ist aus glänzender Goldfolie, die Rückseite bietet ein Reprint der ersten Ausgabe von 1946. Als Titelgeschichte werden die 60 größten Fernsehmomente vorgestellt. Und wie es sich bei einem Jubiläum gehört, gibt es jede Menge Gratulanten und selbstverständlich auch ein Riesen-Gewinnspiel.
Fast beiläufig habe HÖRZU immer wieder neue Standards im deutschen Mediengeschehen gesetzt. Sie war die erste, die alle deutschsprachigen Programme aus dem ganzen Land in einem Heft vereinte.
Die Rubriken im Heft kamen von Anfang an einer später viel kopierten Erfolgsformel gleich: journalistische Reportagen und Kommentare, Interviews und Starporträts mit großen Fotos, Fortsetzungsromane, Bilderrätsel, Mecki-Comics, Kinderseiten und Ratgeber-Rubriken machten die Programmzeitschrift zum vollwertigen Magazin. Man denke da nur an die die fast legendäre Rubrik »Fragen Sie Frau Irene«. Kaum einer wusste, dass sich hinter dem Pseudonym der bekannte Schriftsteller Walther von Hollander verbarg. Er (bzw. sie) beantwortete Leserfragen aus dem zwischenmenschlichen Bereich. Das Spektrum reichte dabei von Problemen in Familie, Ehe und Partnerschaft über Schwierigkeiten bei Erziehung, Schule, Ausbildung und Beruf bis hin zu Konflikten zwischen den Generationen. Nicht zu vergessen Maskottchen Mecki, das nicht nur Namensgeber einer schnell in Mode kommenden Haarfrisur war, sondern ab 1949 auch der erste Merchandising-Artikel der deutschen Mediengeschichte. Viele Kinder nannten die Mecki-Familie ihr eigen.
Und als 1965 der Fernsehpreis »Die Goldene Kamera« ins Leben gerufen wurde, war Deutschland um ein Ereignis reicher. Unvergessen bleibt zum Beispiel, wie der von Krebs gezeichnete Rudi Carrell am 2. Februar 2006 mit dem Ehrenpreis seinen würdevollen, ergreifenden Abschied vor einem Millionenpublikum nahm.
»Neue Triebe aus alten Wurzeln« lautet das Credo des Chefredakteurs Thomas Garms. Und er postuliert: »Die Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne mag woanders ein Kunststück sein, bei uns ist sie eine Lebenshaltung. Doch wäre es zu kurz gegriffen, den langen Erfolg unseres Programm-Magazins allein hanseatischen Tugenden zuzuschreiben. Die Beliebtheit von HÖRZU steckt zu gleichen Teilen in den Menschen, die sie machen, und in denen, die sie lesen. Beide Seiten haben einen guten Geschmack, sitzen fest im Sattel und sind topfit. Warum nicht auch die nächsten 60 Jahre?«

Artikel vom 29.11.2006