02.12.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Zum Sterben in einem Raum abgelegt«

Diakon i.R. Martin Braune (72) im Brackweder Erzählcafé über seine Reise in die Ukraine

Von Gustav-Adolf Lent
Brackwede (WB). Wie unterhaltsam und lehrreich zugleich Geschichte »live« sein kann, erlebten zahlreiche Zuhörer im Erzählcafé im Gemeindehaus der evangelischen Bartholomäus-Kirchengemeinde. Zum zweiten Mal war Martin Braune aus Senne zu Gast, um von seinen Aufgaben und Erlebnissen als Osthilfe-Beauftragter der von Bodelschwingschen Anstalten zu berichten.

Braune wurde schon früh in Lobetal mit sozialen Problemen konfrontiert. Diese Zweiganstalt Bethels für Obdachlose wurde 32 Jahre lang von seinem Vater geleitet. Er erlebte die Inhaftierung seines Vater wegen der Anprangerung des Euthanasie-Programms der Nazis, die Schikanen des kommunistischen Regimes in der DDR bei der Berufswahl wegen der Zugehörigkeit zur Kirche und gelangte 1956 auf Umwegen nach Bethel.
Nach seiner Ausbildung zum Diakon und Sozialarbeiter leitete er 30 Jahre den »Quellenhof«. Durch die enge Wohngemeinschaft mit den Menschen dort - das Hauselternprinzip ist seiner Meinung nach leider durch eine unpersönlichere Leitungsstruktur ersetzt worden - entwickelte sich die Fähigkeit Braunes, sich intensiv und persönlich mit schwierigen Situationen auseinanderzusetzen. Nach Erfahrungen mit Freikaufaktionen von inhaftierten DDR-Gefangenen, die - lange nur sehr geheim durchgeführt - den deutschen Staat immerhin 3,2 Milliarden Markt wert waren, kam 1989 aus Rumänien die Anfrage an Braunes Ehefrau Johanna, als ausgebildete Krankenschwester und Altenpflegerin beim Aufbau von zwei Altenheimen zu helfen.
Hier war auch das Organisationstalent Braunes gefordert. Die Zahl seiner Fahrten in die osteuropäischen Länder ist mittlerweile auf 79 angestiegen, bei denen er 100 Lkw-Ladungen mit jeweils 40 Tonnen an gespendeten Hilfsgütern, überwiegend Krankenhausausstattungen, nach Rumänien, Bulgarien, Bosnien und in die Ukraine brachte. Dazu kommen noch 50 behindertengerecht ausgerüstete Autos, die unter manchmal abenteuerlichen Bedingungen an die Orte, an denen die Not besonders groß ist, gebracht wurden. »Wir helfen aber nur da, wo die Bereitschaft signalisiert wird, produktiv mitzuarbeiten«, erklärte Braune.
Seine vielen freundschaftlichen Verbindungen ermöglichen es ihm, auf dem kurzen Dienstweg spontan auf jede Anfrage zu reagieren und die notwendigen Gelder zu beschaffen. Sogar bei komplizierten Pflegegeld-Verhandlungen kann er aufgrund langjähriger Erfahrungen helfen, so dass die monatlichen staatlichen Zuschüsse von vier auf 40 Euro gestiegen sind. Besonders Behinderten-Einrichtungen und die Psychiatrie leiden auch heute noch unter der Missachtung von Menschlichkeit. So besuchte Braune auf seiner jüngsten Reise in die Ukraine ein Obdachlosenasyl, in dem in einem Raum acht Leute ohne Essen und hygienische Versorgung zum Sterben »abgelegt« waren. Darauf die begleitende Tochter: »So stelle ich mir die Hölle vor.«
Diese Erlebnisse sind der Antrieb für den 72-Jährigen, in seinem Bemühen um Verbesserungen für die Behinderten weiterzumachen, besonders weil ein Nachfolger nicht in Sicht ist. Den nötigen Ausgleich für seine Aktivitäten findet Braune im aktiven Musizieren, das er leidenschaftlich mit seiner Trompete und dem Corno betreibt.

Artikel vom 02.12.2006