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Freundschaft mit Brand
ruht nur 60 Spielminuten

Polens Coach Bogdan Wenta: Wanderer zwischen den Welten

Von Gunnar Feicht (Text und Foto)
Halle/Magdeburg (WB). »Na klar, das ist eigenartig: Du hast die Leute täglich beim SC Magdeburg im Training, und in zwei Monaten, bei der WM, da stehen sie auf der anderen Seite.« Bogdan Wenta, Wanderer zwischen den Handballwelten, muss widerstreitende Interessen und Gefühlsregungen unter einen Hut bringen.

Aber eines steht fest. Wenn am 22. Januar 2007 in Halle der Anpfiff zum WM-Gruppenspiel Deutschland gegen Polen ertönt, dann hat der polnische Nationaltrainer nur ein Ziel: Der Mannschaft seines Lehrmeisters Heiner Brand eine Niederlage beizubringen. Im Alltag seines zweiten Jobs als Bundesliga-Coach beim SC Magdeburg sieht es so aus: Hier Karol Bielecki, Grzegorz Tkaczyk und Bartosz Jurecki, die im Januar zu Polens Leistungsträgern zählen werden, dort Johannes Bitter, Christian Sprenger und Stefan Kretzschmar, die zum vorläufigen 28er-WM-Aufgebot des DHB gehören. »Wir sind Profis genug, um das hinzubekommen. Zuallererst werden wir ja bezahlt, um für den SCM einen guten Job zu machen«, sagt Wenta.
Aber für den 45-Jährigen gilt eben auch: »Neben der Familie ist Handball mein Leben.« Seine Leidenschaft, eine Herzenssache. Und deshalb ist er emotional immer noch ganz eng beim deutschen Nationalteam, für das der gebürtige Pole im Herbst seiner Karriere fast 50 Länderspiele bestritten hat: »Ich bin dem Deutschen Handball-Bund sehr dankbar. Mit der Teilnahme bei Olympia 2000 konnte ich mir einen Traum erfüllen.« Die Freundschaft zu seinem damaligen Trainer Heiner Brand, die wird er wirklich nur für die 60 Spielminuten am 22. Januar ruhen lassen: »Ich habe viel gelernt von Heiner. Zum Beispiel, wie man in Strukturen arbeitet oder wie man mit einer Mannschaft umgeht.«
Diese Erkenntnisse und die Erfahrung aus zehn Jahren Bundesliga-Betrieb in seiner zweiten Heimat setzt Bogdan Wenta ein, damit sein Geburtsland Polen wieder in die Handball-Weltspitze zurückkehrt. 1976 holten die Männer in Weiß-Rot Olympia-Bronze, 1982 wurden sie in Deutschland WM-Dritte - seither fehlen Erfolge.
Gemeinsam mit Co-Trainer Daniel Waszkiewicz (früher THW Kiel) arbeitet der Chef-Stratege hart daran, dass sich dies möglichst schon im Januar ändert: wöchentliches Video-Studium der WM-Kandidaten aus der polnischen Zwölfer-Liga, insgesamt vier Vorbereitungsturniere sowie weitere Länderspiele und Trainingslehrgänge füllen den Kalender zwischen Sommerpause und der WM, die für Polen am 20. Januar in Halle gegen Südamerikameister Argentinien beginnt.
»Ich habe festgestellt, dass die Spieler aus der polnischen Liga - ungefähr die Hälfte unseres 16er-Kernkaders - im Vergleich zu den Auslandsprofis konditionelle Defizite aufholen müssen. Und es ist natürlich ein Handicap, dass sie noch nie in Hallen mit 10 000 oder 15000 Zuschauern gespielt haben.« Für Wenta gibt es viel zu tun - mit »Peitsche« und Zuckerbrot. Denn auch, was die Position des Trainers angeht, musste er alte Strukturen aufbrechen: »Bis die Spieler so weit waren, dass sie mich geduzt haben, dass sie eigene Gedanken einbringen und dass sie mich nicht als Befehlsgeber, sondern als sportliche Autorität begreifen, das hat lange gedauert.«
Eine andere Welt eben, aber Wenta verfügt mit Spielern wie Lijewski (Flensburg), Bielecki (Magdeburg) & Co. über viel Potenzial - und muss sich über Motivation nicht den Kopf zerbrechen: »Auf uns wartet ein Turnier mit vollen Hallen und gigantischer Stimmung. Jeder Trainer und Handballer ist froh, bei der WM in Deutschland dabeisein zu dürfen.«

Artikel vom 06.12.2006