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Der Gegner lauert im Lastenaufzug

Schachweltmeister Kramnik kämpft gegen Super-Rechner Deep Fritz

Von Curd Paetzke
Bonn (WB). Es steht mal wieder die Ehre der Menschheit auf dem Spiel. Nach der spektakulären Niederlage von Garri Kasparov gegen den IBM-Koloss »Deep Blue« im Mai 1997 in New York, versucht jetzt Schachweltmeister Wladimir Kramnik (31) den Super-Rechner »Deep Fritz« der Hamburger Firma Chessbase zu bezwingen.

Der Kampf Mensch gegen Maschine geht in der Bonner Kunsthalle in die nächste (und vielleicht letzte) Runde. Von Fritz ist außer einem flachen, etwa tablettgroßen silbernen Gehäuse und einem Bildschirm dabei nicht viel zu sehen. Der Fritz-Server, das Herz der Maschine, wurde nämlich in den Lastenaufzug verbannt. »Die Lüfter machen einfach zu viel Lärm«, sagt der Event-Manager der Bundeskunsthalle, Stefan Andreae.
Die Propeller haben in der Tat einiges zu kühlen, damit sich der Schachcomputer nicht sein Silizium heiß rechnet: Das drei Gigahertz-Monster verfügt über vier parallel arbeitende Prozessoren, die pro Sekunde acht bis zehn Millionen Stellungen auf dem Schachbrett »durchdenken« können. Das ist dreimal so schnell wie beim Wettkampf 2002 in Bahrain, dem bisher letzten Aufeinandertreffen von Kramnik und »Deep Fritz«, das 4:4 endete. In Bonn sind sechs Partien angesetzt, die letzte findet am 5. Dezember statt.
Ist dann die (Schach-)Uhr für die Menschen endgültig abgelaufen? Selbst Großmeister, die die Begegnungen vor Ort verfolgen, wissen darauf keine Antwort, wagen kaum noch eine Prognose über den Ausgang dieser »World Chess Challenge 2006«. Christoper Lutz sieht die Menschen inzwischen sogar auf dem Weg in eine »Außenseiterrolle«. Denn die Zeiten, in denen man Schachprogramme vom Fritz-Kaliber locker überspielen und austricksen konnte, sind vorbei.
Eigentlich kann man noch nicht einmal mehr erahnen, was die Rechner in ihrem Innersten so an »Gemeinheiten« ausbrüten. Bei der Eröffnungspartie, die im 47. Zug mit einem Remis endete, wurde dies deutlich. Großmeister Helmut Pfleger und seine Mit-Kommentatoren prophezeiten: »Jetzt schlägt der Fritz mit dem König hundertprozentig den weißen Bauern auf g 4.« Doch das tat der Fritz nicht: Er platzierte stattdessen seinen Läufer auf g 1 - und begrub damit Kramniks Hoffnungen, das Endspiel vielleicht doch noch für sich entscheiden zu können. »Damit habe ich nicht gerechnet«, sagte Pfleger. Der Rechner indes schon. Ganz wörtlich.
Wenn es einen Vorteil für Wladimir Kramnik gibt, dann ist das neben seinem positionellen Ver-ständnis für das Geschehen auf dem Schachbrett die globale Unterstützung, auf die der Weltmeister zählen kann. »Die gesamte Menschheit drückt Ihnen die Daumen«, meinte Peer Steinbrück, der Schirmherr der Schach-Veranstaltung, bei der Eröffnung. »Es möge der Stärkere gewinnen«, fügte der Bundesfinanzminister an. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen gingen seine Worte »Hoffen wir alle, dass es der Mensch sein wird« dann allerdings fast unter.
Wenige Augenblicke später springen in einem Lastenaufzug ganz in der Nähe die Lüfter an. Emotionslos nimmt hier ein Rechner seine Arbeit auf - um das zu erreichen, worauf er programmiert worden ist: Gewinnen. Dass sein Gegenüber der Weltmeister ist, lässt die Maschine völlig kalt. Als der Mensch in der zweiten Partie fehl greift und eine Mattstellung übersieht, schlägt die Maschine zu. Es steht 1,5:0,5. Gegen uns.

Artikel vom 29.11.2006