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Clemens Prokop

»Bach kann die Position des Sports nicht wie der Papst ex cathedra definieren.«

Leitartikel
Doping in Deutschland

Warten, bis
die Anwälte
sich einigen


Von Oliver Kreth
14 Monate hat die »Rechtskommission des Sports für den Entwurf eines Gesetzes gegen Doping« in Deutschland an einer Expertise gearbeitet, die sie dem Deutschen Sportbund (DSB) vorgelegt hat. Seit Juni 2005 halten die Sportfunktionäre, mittlerweile die der Nachfolgeorganisation (Deutscher Olympischer Sportbund oder DOSB), sie in ihren Händen. Muss man diese Leistung schon als misslungenen Start bezeichnen, strauchelt man momentan auf dem Weg zum Ziel sauberer Sport.
Schon seit Jahren haben die Ärzte den professionellen Bereich der Körperertüchtigung und Volksunterhaltung krank geschrieben. Die Metastasen haben alle Teile des Sports erfasst. Schon längst erkannte man in anderen Ländern wie Spanien, Italien und Frankreich, dass mit dem massiven Einsatz medizinischer Pipi-Polizei allein dieses die ganze Gesellschaft durchwuchernde Geschwür nicht zu entfernen ist.
Jetzt übernahmen auch in Deutschland die Juristen. Und wie lernt man schon im ersten Semester: vier Juristen, fünf Meinungen.
Die Kontrahenten heißen Wolfgang Schäuble (Innenminister), Clemens Prokop (Amtsgerichtsdirektor, nationaler Leichtathletik-Chef), Thomas Bach (Wirtschaftsanwalt, DOSB-Boss) und Ulrich Haas (vier Jahre Vorsitzender der Anti-Doping-Kommission von DSB und Nationalem Olympischen Komitee).
Haas und Prokop wollen nicht allein auf die Sportgerichtsbarkeit und das Arzneimittelgesetz bauen. Zu mafiös, zu international verzweigt sind die Strukturen der Muskelmast durch anabole Steroide, Wachstumshormone, Insulinpräparate und Aufputschmittel.
Prokop liegt derzeit leicht vorne im Rennen. Er stellte in der vergangenen Woche Strafanzeige gegen den niederländischen Manager Jos Hermens, den spanischen Arzt Miguel Angel Peraita, die deutschen Leichtathleten Grit Breuer und Nils Schumann. Dabei profitierte er von in einem Strafprozess (Minderjährigendoping durch Thomas Springstein) gewonnene Erkenntnisse.
Prokop glaubt an die Macht des Staatsanwalts, an Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen oder Kontenüberprüfungen. Bach, oberster Sportler in Deutschland und international Anwärter auf die höchsten Sportweihen, war dagegen nie der große Antreiber im Kampf gegen den Pillen-Betrug.
So weichten er und seine Helfershelfer die in der oben erwähnten Expertise erarbeiteten Positionen auf. Besitzstrafbarkeit weg und in einer früheren Version des inzwischen quasiamtlichen DOSB-Gutachtens war gar von einem »Standortnachteil« zu lesen, sollten Athleten in Deutschland hartnäckig verfolgt werden. Für Haas war damit der Legalisierung von Dopingmitteln Vorschub geleistet.
Und was macht der Bundesinnenminister? Wolfgang Schäuble (CDU) wartet weiter ab, bis seinen Juristen-Kollegen alles abgewogen haben. Und so lange siecht der Patient Sport auf der Intensivstation weiter vor sich hin.

Artikel vom 30.11.2006