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Beim Parteitag der CDU
droht Richtungsstreit

Auftakt heute mit Merkels Rede und Wahlen

Dresden (dpa). Beim CDU-Parteitag droht zwischen Wirtschafts- und Sozialflügel ein offener Richtungsstreit. Unmittelbar vor Beginn des heutigen Treffens in Dresden bezogen die Verfechter der verschiedenen Strömungen noch einmal mit gegenseitigen Warnungen und Vorhaltungen Position.

Neben der Debatte über das Profil steht ein Jahr nach Antritt der großen Koalition die Neuwahl der gesamten Führungsspitze einschließlich der Bundesvorsitzenden, Bundeskanzlerin Angela Merkel, im Mittelpunkt des zweitägigen Parteitags.
Merkel rechtfertigte gestern erneut ihren Führungsstil. »Ich äußere mich deutlich, aber nicht alles davon muss in der Öffentlichkeit stattfinden«, sagte Merkel. Sie halte nichts von Show- und Basta-Politik. Die Empfehlung, öffentlich sichtbar eine Machtprobe zu gewinnen, wies Merkel zurück. Entscheidend für jeden Regierungschef sei, dass er seine Projekte durchbringe.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und der Arbeitnehmerflügel verlangten vor Beginn noch einmal ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit in der Programmatik der Union. Vertreter des Wirtschaftsflügels, aber auch die Ministerpräsidenten Günther Oettinger aus Baden-Württemberg und Christian Wulff aus Niedersachsen warnten hingegen vor einem Linksruck.
Merkel bemühte sich vor den vorbereitenden Sitzungen von CDU-Präsidium und -Vorstand gestern noch einmal um den Ausgleich zwischen den Flügeln. »Alle Anträge werden zeigen, dass die CDU die Volkspartei der Mitte ist«, sagte Merkel bei einer Besichtigung des Parteitagssaales in Dresden. Zuvor hatte sie in in der »Leipziger Volkszeitung« klargestellt, unter ihrer Führung verfolge die CDU einen »Kurs der Mitte«. Mit den Worten »Als Physikerin sage ich Ihnen, Flügel verschaffen Auftrieb«, versuchte sie auch dort, den Streit zwischen den Parteiströmungen zu entschärfen.
Mit Spannung wird erwartet, ob sich die Differenzen auch bei den heutigen Vorstandswahlen niederschlagen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Merkel gut abschneidet bei ihrer dritten Wiederwahl als Parteivorsitzende seit ihrem Antritt im Jahr 2000.
Neben Forschungsministerin Annette Schavan, Wulff und Rüttgers kandidiert erstmals Hessens Regierungschef Roland Koch für einen der vier Stellvertreterposten. Im nordrhein-westfälischen Landesverband gibt es die Befürchtung, Rüttgers könnte einen Denkzettel bekommen, weil er in jüngster Zeit intern zu stark polarisiert habe. Als neuer Schatzmeister kandidiert der Bundestagsabgeordnete Eckart von Klaeden.
Rüttgers verlangte das Signal, »dass wir bei den ohne Zweifel auch zukünftig erforderlichen Reformen den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit im Blick behalten«. Wulff übte scharfe Kritik an Rüttgers' Kurs. »Die CDU ist keine Klassenpartei. Sie ist Partei für Arbeiter und Arbeitgeber«, sagte Wulff. In den Augen der Deutschen ist Wulff derzeit klar die Nummer zwei in der CDU. In zwei Umfragen liegt er mit großem Vorsprung vor Rüttgers und Koch. Wulff bekräftigte am Wochenende jedoch noch einmal, er wolle nicht Kanzler werden.
Ob es tatsächlich zu einem offenen Streit kommt, hängt nach übereinstimmender Überzeugung bei den Spitzenpolitikern auch davon ab, ob es Merkel gelingt, in ihrer Eröffnungsrede alle Parteiflügel einzubinden. Über wichtige Anträge wird morgen zum Schluss des Parteitags abgestimmt. Diese befassen sich mit der Gewinnbeteiligung von Arbeitnehmern sowie Bildung und Erziehung.

Artikel vom 27.11.2006