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Alte Volksweisheit

»Wenn einer sagt, es gehe ihm nicht ums Geld, sondern ums Prinzip, dann geht's ihm ums Geld.«

Leitartikel
Putins Russland bärenstark

Nietzsche
kannte
Gazprom nicht


Von Rolf Dressler
Himmelhoch gepriesen wurde uns Endverbrauchern seinerzeit die Liberalisierung des Strommarktes. Ein goldenes Zeitalter schien heraufzuziehen. Offener Wettbewerb, Buhlen um den berühmten König Kunde und eine Preisgestaltung, die den Geldbeutel aller, ob bei Privatleuten oder unternehmerisch Tätigen, nicht über Gebühr belasten sollte - aber jetzt? Zerstoben sind die Blütenträume. Es kommt stattdessen knüppeldick.
Die ruppig-rustikalen Spielregeln wie auch die Formen des Umgangs bestimmt Russlands megamächtige Gazprom. Schneidend locker lässt der Energie-Multi mit den ganz besonderen Beziehungen zur absoluten Staatsspitze im Moskauer Kreml die Abnehmer-Welt wissen, dass am besten bereits gleich morgen 15 satte Prozent mehr für »Russen-Gas« zu berappen seien. Wann uns dann der nächste Schockschub heimsucht, das können Otto und Ottilie Normalverbraucher hier in Zentraleuropa ja schon mal an den Knöpfen abzählen.
So oder so müssen wir alle uns warm anziehen. Denn jene, die an den Gashähnen sitzen, sind ungemein im Vorteil gegenüber der hiesigen, letztlich weithin ohnmächtigen Politik und erst recht gegenüber dem ohnehin nur noch zähneknirschend blechenden Publikum. Hier das an Bodenschätzen bitterarme, volkswirtschaftlich reiche Deutschland, dort das mit Gas, Erdöl und vielen anderen Hochkostbarkeiten gesegnete Reich des Russischen Bären - es ist sonnenklar, wer die Trümpfe auf seiner Seite hat.
Naturgemäß sehen sich da selbst Energie-Elefanten wie beispielsweise Eon Ruhrgas brutalstmöglich in die Markt-Defensive gedrängt. Doch was hilft ihnen am Ende der Hinweis darauf, dass auch der Vertragspartner Gazprom bestehende Verträge einzuhalten habe, wenn es zugleich eher ratlos-hilflos heißt, mangels näherer Informationen könne man die neuesten Gazprom-Pläne in Richtung 15 Prozent Erdgaspreiserhöhung noch gar nicht verlässlich beurteilen?
Denn gerade auch Gazprom ist für Wladimir Putin offenkundig ein Universalwerkzeug. Dramatisch druckvoll rüstet sich das Russland 2006. Es will sich zu alter, neuer Weltmachtgröße aufschwingen, weiß um die Atomwaffen-Bedrohung durch mehrere Nachbarstaaten wie vor allem Indien und China und setzt alles daran, die Energiehandelsströme zur eigenen Geld(macht)vermehrung und zu Lasten der USA umzusteuern.
Begreift Europa, was da läuft?
Selbst der Philosoph Friedrich Nietzsche, eigentlich ein Befürworter enger Beziehungen zwischen Europa und Russland, dem Reich des Bären, hegte Zweifel - nachzulesen in seiner Anleihe bei der griechischen Mythologie:
»Europa ist zuletzt ein Weib, und die Fabel lehrt, dass so ein Weib sich unter Umständen von gewissen Tieren fortschleppen lässt. Zur Zeit der Griechen war's ein Stier - und heute? Der Himmel behüte mich, das Tier zu nennen!«

Artikel vom 29.11.2006