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Der Kopf besiegt den Körper:
Ende einer Ring-Karriere

Brian Minto deklassiert Axel Schulz: technischer K.o. in Runde sechs

Von Oliver Kreth
Halle (WB). Die Höchststrafe gab es nach dem bitteren Ende: Pfiffe von den Rängen. Und was noch schlimmer für Axel Schulz sein muss - Mitleid.

Als der Geschlagene nach der Pressekonferenz im Sportparkhotel Richtung Hotelzimmer abzog, umarmte ihn eine ältere, grauhaarige Frau. Tränen liefen über ihr faltiges Gesicht, und auch das Schwergewicht, dessen Augen nur noch schmalste Schlitze waren, hatte schwer zu schlucken.
2618 Tage nach seinem ersten Rücktritt war das Comeback nach nur 16:30 schmachvollen Ring-Minuten beendet. Und der Imageschaden perfekt. Da war er wieder, der weiche Riese.
Schon als er zu »Light my fire« in den Ring ging, war seine Körpersprache eindeutig. Da war kein Feuer. Da kam einer, der an sich glauben wollte, der aber vor allem niemanden in seinem Team, im TV und keinen der 14 500 Zuschauer im Gerry-Weber-Stadion enttäuschen wollte. Der nette Junge von nebenan eben, kein Biest.
Und an diesem Erwartungsdruck zerbrach er. Schulz: »Als ich in die Halle kam, habe ich gemerkt, was auf dem Spiel steht. Die Atmosphäre hat mich erdrückt. Das war wie eine Wand, gegen die man läuft. Das ist kein Vorwurf gegen die Zuschauer. Im Gegenteil. Wie sie mich unterstützt haben - das war klasse.«
Schon ab der ersten Runde merkte »Schulle«, dass er gegen Brian Minto keine Chance haben würde. Da war klar, wie die Antwort auf die Schulzsche Frage »Kann ich es noch?« lauten würde. Die bittere Wahrheit: »Es ist einfach so: Training ist Training, Wettkampf ist Wettkampf. Ich habe nicht das gezeigt, was wir uns im Gym über elf Monate erarbeitet haben.«
Dass der Kopf zum Problem werden könnte, hatten sein Trainer Rick Conti und auch Matchmaker Jean-Marcel Nartz befürchtet. Wobei der Coach selbst in diesem Fall von einem Sieg ausgegangen ist, nur dass es schwerer werden würde. Katerstimmung auch ohne Alkohol beim Hamburger Ringfuchs. Nartz: »Das war ein Totalblackout. Axel hat alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Er hat seine körperlichen Vorteile nicht genutzt. Im Gegenteil. Er hat Minto in die Karten gespielt.« So hielt er den US-Wühler nicht auf Distanz, die Führhand, Basis des Boxens, kam nicht. Von Doppel-Jabs oder Aufwärtshaken ganz zu schweigen. Auch konditionell baute er bereits nach Runde zwei brutal ab.
Wiedergutmachung betrieb Schulz nach dem Desaster wenigstens verbal. Keine Ausreden, glasklare Analysen. »Ich hab beschissen geboxt. Aber ich habe den Kampf nicht hergeschenkt. Und so muss ich mir wenigstens nicht den Vorwurf machen, es nicht versucht zu haben.«
So sah es auch sein Freund und Manager Wolfram Köhler: »Klar werden jetzt viele sagen, hätte er doch erst mal einen leichteren Gegner genommen. Aber wir wollten es so. Das wäre Selbstbetrug gewesen. Wir hatten ein perfektes Team, die Vorbereitung war ideal. Aber Axel war anscheinend nicht bereit für diese Art von Kampf.«
Auch wirtschaftlich war die Entscheidung, die Nummer 26 der unabhängigen Weltrangliste als Comeback-Gegner auszuwählen, nicht gerade clever. Für Köhler kein ProblemÊ- im Gegenteil. »Ich bin stolz darauf, dass wir es so gemacht haben.«
Den Überblick verloren Schulz und Köhler beim Ende des Kampfes. Hatte nun Ringrichter Joachim Jacobsen den ungleichen Fight nach 1:30 Minuten der sechsten Runde abgebrochen oder war das fliegende, nicht mehr ganz weiße Handtuch Grund für den Schlussstrich? Köhler hatte kein Handtuch gesehen, denn »Axel hatte vor dem ersten Gong gesagt: Das Handtuch wird nicht geworfen«. Daran hatte sich aber einer - niemand wollte sich in der Nacht zu Sonntag dazu bekennen - nicht gehalten. Auf jeden Fall hatten sowohl der Unparteiische und ein Teammitglied gleichzeitig erkannt: Das bringt nichts mehr, das gefährdet die Gesundheit des 38-Jährigen. Egal warum, der technische Knockout war perfekt. Schulz: »Der Abbruch war absolut berechtigt. Ick hab' schön vor den Kopp jekriecht.«
Eine Flucht nach Florida ist erstmal nicht drin. Frau Patricia und Tochter Paulina müssen gemeinsam mit dem Verprügelten auf die Abreise warten. Schulz, er kassierte eine Börse von 1,5 Millionen Euro, und sein Manager Köhler müssen in Deutschland bleiben. Es sind noch Rechnungen zu begleichen. Die beiden weiteren geplanten Kämpfe sind natürlich abgesagt. In den Box-Ring steigt Axel nie mehr. »Dat war's. Ick mach definitiv Schluss.« Auch die Handschuhe wird es nie mehr anziehen: »Davon habe ich die Schnauze voll. Endgültig.«
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Artikel vom 27.11.2006