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Eltern auf Zeit:
Studierende erproben sich

Uni-Projekt »Baby Bedenkzeit«

Bielefeld (ik). Vorsichtig trägt sie das Baby auf dem Arm, zärtlich streicht sie ihm über den Kopf und setzt ihm ein Mützchen gegen die Kälte auf. Keine Frage, Anna Seiwald (25) hat das Kind in ihr Herz geschlossen.

Und das, obwohl es nur wenige Tage bei ihr war und sein Inneres aus einem Chip besteht, auf dem genau aufgezeichnet wird, wie gut oder schlecht man sich um es gekümmert hat. Anna Seiwald ist Studentin an der Uni Bielefeld und hat zusammen mit ihrem Mann Eugen (25) bei einem Seminar zum Thema »Kind und Karriere - Vereinbarkeit von Studium und Familie« mitgemacht.
Die Studenten probieren den »Ernstfall« selbst aus: Wie lässt sich der Uni-Alltag mit einem Neugeborenen realisieren? Wie reagiert das Umfeld? Und wie ist die Doppelbelastung auszuhalten? Das sind Fragen, die im Vorfeld des Seminars gestellt wurden. Insgesamt acht Studenten wurde ein so genanntes »RealCare Baby« (zu Deutsch »Baby Bedenkzeit Puppe«) vier Tage lang anvertraut. »Im Inneren der Puppen befindet sich ein Chip und die Mütter und Väter auf Zeit bekommen ebenfalls einen Chip an einem Armband ums Handgelenk. So erkennt das Baby seine momentanen Eltern«, erklärt Sozialpädagogin Almuth Duensing, die für Pro Familia das Uni-Projekt unterstützt.
Dazu gibt es eine Bedienungsanleitung für richtiges Halten, richtiges Füttern, Wickeln und Tragen. »Wichtig ist, dass die Armbänder so befestigt sind, dass man sie nicht mal eben an jemanden anders abgeben kann. So kann man sich nicht vor der Verantwortung drücken«, erklärt Duensing.
Von den acht Studenten, die am Projekt teilnehmen, hatte schon die Hälfte die Verantwortung, nun sind die anderen vier dran. »Ich erwarte wenig Schlaf und wenig Zeit für mich selbst, trotzdem bin ich sehr gespannt«, sagt Yvonne Karzellek (23), die nun für vier Tage »Mutter« wird. Und was das bedeuten könnte, wird gleich im Seminarraum der Uni klar, in dem die Babys an ihre neuen »Eltern« übergeben werden: Ein eher blechern, aber durchaus echt klingendes Schreien erfüllt den Raum. »Die Puppen reagieren wie echte Babys«, erklärt Nadir Kouri von der Fakultät für Pädagogik, der das Seminar leitet. »Und sie sehen auch echt aus: Eine Puppe ist 51 Zentimeter groß und wiegt 3000 Gramm, entspricht also einem Neugeborenen. Außerdem bekommen die Eltern auf Zeit eine Geburtsurkunde und dürfen sich einen Namen überlegen«.
Auch ein Theorieteil zum Thema »Kind und Karriere« gehört zum Seminar. Hier wird ein Blick auf Vorbilder wie Schweden und Frankreich geworfen. »Wir überlegen, wie man junge Familien besser unterstützen kann und stellen familienfreundliche Unternehmen aus der Region vor«, erklärt Kouri. Ein Ergebnis gibt es schon bei dem Experiment: »Trotz der politischen Diskussion um Gelder - entscheidend ist vor allem die Zusammenarbeit mit dem eigenen Partner«.

Artikel vom 28.11.2006