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»Deutschland wird das
Halbfinale erreichen«

Karl-Heinz Tiemeyer über die WM und das Vermittler-Geschäft

Spenge (WB). Nichts geht mehr ohne Spielervermittler. Das gilt auch für den Spitzen-Handball. Der ehemalige Torwart Karl-Heinz Tiemeyer (57) aus Spenge ist einer von zwei vom Deutschen Handball-Bund zugelassenen Beratern in OWL. Mit dem Ex-Manager des TuS Nettelstedt sprach Lars Krückemeyer über das Vermittler-Geschäft, die WM und die Entwicklungen des Handballs in Deutschland.

Herr Tiemeyer, welche Voraussetzungen muss man als Spielervermittler mitbringen? Tiemeyer: Es gab eine Zeit, da konnte sich jeder, der sich im Handball auskannte, als Vermittler betätigen. Da gab es schwarze Schafe, so dass der DHB reagiert hat und seit 1999 nur noch lizenzierte Berater zulässt. Dabei wird Fachwissen im Steuerrecht und im Handball geprüft sowie eine Bankbürgschaft, die aktuell 50 000 Euro beträgt, gefordert. Inzwischen gibt es bundesweit nur noch zwischen 15 und 20 Berater, das liegt an den strengen Kriterien.

Wo sind ihre Aufgaben und Vorlieben als Vermittler?Tiemeyer: Spieler saßen früher oft allein am Verhandlungstisch, während die Vereine meist mit mehreren Beratern aufliefen. Ich würde schätzen, dass heute 90 bis 95 Prozent aller Spieler der 1. und 2. Liga einen Berater haben. Ich versuche, viele junge Spieler von der Oberliga bis zur Bundesliga entsprechend ihres Leistungsvermögens nach oben zu begleiten. Wie den 24-jährigen Torwart Nikolaos Katsigiannis, der in Ahlen in der 2. Liga war, jetzt beim Erstligisten Hildesheim spielt und von Bundestrainer Heiner Brand beobachtet wird. Es gehört aber auch dazu, Spieler, die sich überschätzen, die Realität aufzuzeigen. Das ist auch die Verantwortung des Spielervermittlers gegenüber den Vereinen, die Anfragen für ihre Spielklassen an uns richten. Übrigens sollte ein guter Spielerberater auch dem Verein helfen, wenn der ein Problem mit dem Spieler hat. Auch dafür beziehen wir ja unser Honorar, genauso wie für die Sichtung von Spielern, die wir für die Vereine übernehmen.

Wie besorgen Sie sich ihre Mandanten? Tiemeyer: Ich bin als Begleiter der russischen Nationalmannschaft seit 1988 international tätig gewesen, war viereinhalb Jahre Manager in Nettelstedt, habe dadurch Kontakte in der Bundesliga bekommen und auch vor der Prüfung manchmal als Spielervermittler gearbeitet. Ich sehe mir aber auch viele Spiele in der Regional- und Oberliga an, weil es da große Talente gibt. Ein ostwestfälisches Beispiel ist Rolf Hermann, der von einem Kollegen betreut wird. Er spielte beim HCE Bad Oeynhausen in der Oberliga, gehört jetzt zum WM-Kader und wechselt 2007 von Nettelstedt nach Lemgo. Das Wichtigste ist, das man als Spielerberater seriös arbeitet, und das dass sowohl Spieler als auch Vereine wissen.

Heiner Brand hat mit Jan Holpert, Stefan Kretzschmar und Christian Schwarzer drei Altgediente in den Vorab-Kader berufen. Gibt es zu wenig Talente? Tiemeyer: Felix Magath hat den Satz geprägt: Qualität kommt von Qual. Ich vermisse bei vielen jungen Spielern, die eine gewisse Qualität erreichen wollen, dass sie sich erstmal quälen. Es hat aber auch damit zu tun, dass diese Generation weicher als frühere ist. Früher musste man mehr dafür tun, um im Handball nach oben zu kommen. Ich würde wie Heiner Brand auch lieber zehn deutsche und zwei ausländische Spieler in den Bundesliga-Vereinen sehen, so war es ja bis vor zehn Jahren noch. Das ist heute aufgrund der Qualität nicht mehr möglich, außerdem ist das auch nach dem Bosman-Urteil rechtlich nicht machbar. Ich glaube auch nicht, dass sich die Vereine an eine andere Regelung halten würden. Wer Probleme im Kampf um die Meisterschaft oder den Klassenerhalt bekäme, würde sich verstärken.

Wie können sich die Vereine einbringen? Tiemeyer: Grundsätzlich geht es darum, dass Profi-Vereine Nachwuchs ausbilden müssen - wie Minden oder Magdeburg. Ohne Jugendförderung oder Jugendabteilung dürften gar keine Lizenzen für die 1. und 2. Liga vergeben werden. Wer nicht ausbildet, darf sich nicht über zu wenig Nachwuchs beklagen. Um die Qualität der jungen Spieler zu steigern, würde auch eine eingleisige 2. Liga helfen. Wenn wir diese Strukturen nicht schaffen, werden wir international Probleme bekommen. Früher waren die wenigen, aber starken ausländischen Stars eine echte Bereicherung, davon konnten deutsche Spieler lernen.

Die Bundesliga teilt sich in dieser Saison extrem in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft auf. Tiemeyer: Die Vereine mit den größten Hallen und Einnahmen betreiben ein Wettrüsten und stehen oben. Da werden langjährige Erstligisten wie Minden oder Nettelstedt auf Dauer Probleme haben, wieder ins Mittelfeld zu kommen, zumal sie als Nachbarn das Potenzial halbieren und nicht bündeln. Man muss sich fragen: Wer will Spiele sehen, die 42:22 enden? Der Verbraucher -Ê Zuschauer und Sponsoren -Êwill Wettbewerb und keine Spiele, deren Ausgang vorher feststeht. Deshalb glaube ich, dass eine Reduzierung der Mannschaften unumgänglich ist. Abgesehen davon ist die Belastung für die Nationalspieler mit den jährlichen großen Turnieren viel zu groß.

Was erwarten Sie als Spielervermittler und als Zuschauer von der deutschen Nationalmannschaft bei der WM? Tiemeyer: Die großen Turniere sind eine interessante Plattform. Es gibt immer Neuerungen und man kann Kontakte mit Trainern, Spielern und Funktionären knüpfen oder vertiefen. Mich interessiert auch die Vermarktung. Heiner Brand ist der beste Bundestrainer, den wir je hatten. Er hat ein Händchen dafür, seinen Kader auf den Punkt fit zu bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland das Halbfinale erreichen wird, dazu wird auch das Heimpublikum beitragen. Allerdings gibt es viele starke andere Nationen, die internationale Spitze ist sehr ausgeglichen.

Sie hatten als Manager beim TuS Nettelstedt in den 90er Jahren mit dem Aufstieg und den beiden Europapokal-Siegen eine erfolgreiche Zeit. Können Sie sich vorstellen noch einmal in die Vereinsarbeit zurückzukehren? Tiemeyer: Das waren interessante und unvergessliche Jahre, als wir Top-Spieler wie Wenta, Dujshebaev oder Mikulic geholt haben. Trotz des Ärgers am Ende war es eine schöne Zeit, aber die wird für mich nicht wieder kommen. Als Spielervermittler kann ich meine Kräfte und Ideen so ein- und umsetzen, wie ich es für nötig halte. In den Vereinen gibt es zu viele Eitelkeiten, ich fühle mich jetzt freier.

Artikel vom 29.11.2006