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Koloss überquert fünf Meere

30 000 Schaulustige bestaunen Transport des Spektrometers nach Karlsruhe

Von York Favier
Karlsruhe (dpa). Von Bayern nach Baden in mehr als sechs Wochen, 8800 Kilometer über fünf Meere und zwei große Flüsse - für die Wissenschaft scheint kein Weg zu weit. Der Transport eines im niederbayerischen Deggendorf für das Forschungszentrum Karlsruhe hergestellten 200 Tonnen schweren Spektrometers schlägt alle Rekorde.

Das 24 Meter lange Aggregat aus Edelstahl mit einem Durchmesser von zehn Metern ist für die meisten deutschen Straßen- und Kanalbrücken einfach zu groß. Statt einer Strecke von 400 Kilometern auf deutschen Kanälen - per Luftlinie liegen Hersteller und Forschungszentrum sogar nur 220 Kilometer auseinander - musste der Stahlriese per Frachtschiff auf der Donau ans Schwarze Meer transportiert worden. Anschließend ging die Odyssee durch das Marmara- und das Mittelmeer sowie den Atlantik und die Nordsee den Rhein hinauf bis kurz vor Karlsruhe. Hier residiert in Eggenstein-Leopoldshafen das Forschungszentrum Karlsruhe. Die Kosten für Bau und Transport des Gerätes bezifferte das Zentrum auf sechs Millionen Euro.
Die mehr als 3000 Mitarbeiter zählende wissenschaftliche Einrichtung benötigt das gewaltige Spektrometer aus Austenit-Edelstahl für das nach eigenen Angaben weltweit einzigartige Karlsruher Tritium-Neutrino-Experiment (»KATRIN«). Mit der 33,5-Millionen-Euro-Studie wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie groß die Masse des Neutrinos ist und welche Rolle es bei der Entwicklung des Universums spielte. Nach Angaben von Projektleiter Guido Drexlin vom Institut für Kernphysik des Forschungszentrums wird das Spektrometer Teil der »empfindlichsten Waage der Welt« sein. Mit den Messungen soll im Jahr 2009 oder 2010 begonnen werden. Am Projekt sind 15 europäische und amerikanische Institutionen beteiligt.
Der für Karlsruhe bestimmte Koloss hat bereits vor der Aufnahme der wissenschaftlichen Forschungen für Superlative gesorgt: 30 000 Schaulustige verfolgten am Samstag den sechs Kilometer langen Schwertransport zum Zentrum. Das Manöver auf zwei jeweils 14-achsigen, ferngesteuerten Tiefladern verursachte Schweißausbrüche bei den verantwortlichen Logistik-Experten und »Ah«- und »Oh«-Rufe bei den tausenden Zuschauern. Für den Transport wurden Ampeln, Verkehrsinseln und Laternen abgebaut und Bäume gestutzt. Auch Stromleitungen, die über der Fahrtroute des Konvois hingen, wurden abgeschaltet.

Artikel vom 27.11.2006