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Einschließen und Feierabend machen

Kritisierte Praxis im Strafvollzug geht auf Justizminister Wolfgang Gerhards (SPD) zurück

Von Christian Althoff
Düsseldorf (WB). Der frühere NRW-Justizminister Wolfgang Gerhards (SPD) hat 2003 angeregt, Gefangene länger in ihren Zellen einzuschließen und unbetreut zu lassen, damit Vollzugsbeamte ihre Überstunden abbauen können.
Wolfgang Gerhards, bis 2005 Minister.
Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter

»Deshalb ist es heuchlerisch, wenn die SPD jetzt im Fall Siegburg den Rücktritt der Ministerin fordert«, sagte am Freitag Peter Biesenbach, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion. In der JVA Siegburg waren Häftlinge am vorvergangenen Wochenende 16 Stunden in ihrer Zelle eingeschlossen und hatten in dieser Zeit einen Mitgefangenen gefoltert und ermordet. Die Nichtbetreung der Häftlinge über einen so langen Zeitraum war von der SPD-Opposition massiv kritisiert worden.
Dabei hatte der damalige NRW-Justizminister Gerhards genau das gebilligt: Im Ausschussprotokoll 13/1062 des Rechtsausschusses vom Dezember 2003 wird der Minister mit den Worten zitiert, manchmal müsse »der Einschluss etwas früher erfolgen, damit Beamte Überstunden abbauen« könnten. Dies sei ein »gerechtfertigter Kompromiss« zwischen Aufrechterhaltung des Behandlungsvollzugs und den Arbeitsstunden.
»Daran sieht man doch, dass die Misere des Strafvollzugs ihren Ursprung schon in den Zeiten der Vorgängerregierung hat«, erklärte am Freitag Klaus Jäkel, Landesvorsitzender des »Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands« (BSBD). Er verwies darauf, dass unter der Misere neben den Häftlingen auch die Vollzugsbeamten zu leiden hätten: »Allein zwischen 1995 und 2002 hat es 747 Angriffe von Gefangenen auf JVA-Beamte gegeben.« Dazu hatte der damalige SPD-Justizminister Gerhards 2003 erklärt, aus diesen Zahlen ließen sich »keine Hinweise auf ein zur Besorgnis Anlass gebendes Gewaltproblem ableiten«.
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Jäger hatte noch am Donnerstag Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) vorgeworfen, den Strafvollzug nicht im Griff zu haben. Jäger sagte sogar, die Ministerin habe den Tod des 20 Jahre alten Häftlings »begünstigt« und müsse deshalb zurücktreten. Diese Aussage bewertete Biesenbach am Freitag als »infam« und forderte eine Entschuldigung. Wolfgang Schmitz, CDU-Landtagsabgeordneter aus Paderborn und Vize-Vorsitzender des Rechtsausschusses, verwies auf den Fall des geflohenen Mörders Dieter Zurwehme, der bundesweit Aufsehen erregt aber keinerlei politischen Folgen innerhalb der damaligen Landesregierung gehabt habe. Zurwehme waren 1998 trotz Warnungen eines Anstaltspsychologen mehrfach Ausgänge aus der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne genehmigt worden. Einen dieser Ausgänge hatte er zur Flucht genutzt, auf der er 1999 eine Schülerin vergewaltigt und zwei Ehepaare ermordet hatte. Weder der sozialdemokratische Justizminsiter Fritz Behrens (1995 bis 1998) noch sein Nachfolger Jochen Diekmann (SPD, 1999 bis 2002) hatten damals einen Anlass für Konsequenzen gesehen.
Der NRW-Richterbund hat am Freitag eine Versachlichung der Diskussion gefordert und ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Ursachen der Misere Jahre zurücklägen: »Obwohl in der Justiz nur neun Prozent der Landesbediensteten arbeiten, entfielen zwischen 2001 und 2004 nahezu 35 Prozent des landesweiten Stellenabbaus auf sie«, sagte Richterbund-Landesvorsitzender Jens Gnise.

Artikel vom 25.11.2006