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Nein, Münster ist nicht Bielefeld. Die Stadt am Aasee ruhe sehr in sich selbst, zehre von ihrem großen Selbstbewusstsein, sagt Helga Boldt. »Aber Bielefeld muss sich nicht hinter Münster verstecken«, ergänzt die 54-Jährige sogleich. Gerade im Kulturbereich sei Bielefeld der westfälischen Schwesterstadt ebenbürtig. Helga Boldt lobt die hiesige Theaterlandschaft, das vielfältige Engagement insbesondere auch der freien Gruppen, die Möglichkeiten, die die Oetkerhalle biete. »Ein Pfund, mit dem man wuchern kann.«
Aber manchmal verstecke sich Bielefeld doch zu sehr. Zumindest war das häufig die Einschätzung der grünen Münsteraner Dezernentin bei Begegnungen auf der Ebene des Städtetages. Da habe zuweilen die Initiative gefehlt, die eigenen Akzente, die Bielefeld früher weit über die Stadtgrenzen hinaus ins Gespräch gebracht hätten. »Der Umweltplan, den wir damals auf den Weg umgesetzt haben, fand bundesweite Beachtung.« So etwas wünscht sie sich wieder von ihrer alten und neuen Heimatstadt. Dringenden Handlungsbedarf sieht sie im Ausbildungsbereich. Da werde zuviel geredet und zu wenig gehandelt, meint die Frau, die sich lange Zeit im in dem Bielefelder Berufsausbildungsverein BAJ engagiert hat. »Warum übernimmt die Stadt nicht einfach die Verantwortung für die jungen Leute, bis sie eine erste Berufsausbildung abgeschlossen haben?« Das sei ein Stück Zukunftsgestaltung. Ausbildungsplätze für jeden könne die Wirtschaft allein nicht zur Verfügung stellen. Da sei auch die Initiative der öffentlichen Hand gefragt. Nur dürfe sich die Politik nicht in endlosen Debatten darüber verzetteln.
Auch wenn Helga Boldt zurzeit selbst nicht aktiv Politik betreibt oder in einer Verwaltung arbeitet - ein politischer Kopf ist sie allemal geblieben. Neben ihrer Tätigkeit für die Enquetekommission und die Bremer Schulbehörde arbeitet sie auch wieder beratend für die Bertelsmann-Stiftung im Kompetenzzentrum Kommune und Region, und sie hat mitgemacht in der erweiterten Jury für den Deutschen Schulpreis, der vom ZDF, dem »Stern« und der Robert-Bosch-Stiftung ausgelobt wurde.
Doch ist diese Gremienarbeit genug für eine Frau, in deren bisherigen Ämtern das praktische Handeln im Mittelpunkt stand? Kann sie sich vielleicht sogar vorstellen, einmal als Dezernentin im Bielefelder Rathaus tätig zu sein? »In Bielefeld steht eine solche Entscheidung im Moment nicht an«, reagiert Boldt diplomatisch. Generell wolle sie nicht ausschließen, wieder in eine solche oder ähnliche Funktion zurückzukehren. »Im Moment aber bin ich sehr zufrieden mit dem, was ich mache.«
Das in Wahlkämpfen immer wieder gern gebrauchte Schlagwort von den Grünen als der eigentlichen Partei der Besserverdienenden lässt Boldt nicht gelten. Richtig sei, dass viele Mitglieder über einen hohen Bildungsstand verfügten. Aber der sei heutzutage längst nicht mehr gleichbedeutend mit einem hohen Einkommen. Ihre Partei sieht sie im Umbruch. Die alte Garde um Joschka Fischer & Co. werde nach und nach durch junge Gesichter ersetzt. Dabei gebe es längst nicht mehr alte ideologische Grenzen. Viel offener sei inzwischen etwa der Dialog mit der Wirtschaft.
Beim Stichwort Wirtschaft ist Helga Boldt auch wieder bei den Unterschieden zwischen Münster und Bielefeld. Einer der großen Unterschiede in der Kommunalpolitik beider Städte sei, dass sich in Bielefeld die Unternehmerschaft viel stärker in die Politik einmische. Dies stehe auch für ein hohes Maß an Identifikation mit der eigenen Stadt. Zwischentöne, die in den alten Vollversammlungszeiten der Grün-Bunten Ende der 70er Jahre wohl kaum zu hören gewesen wären.

Artikel vom 25.11.2006