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Wenn die Mutter ins Heim muss

Pflegekräfte des Johanneswerks unterstützen Angehörige

Bielefeld (WB). »Mutti versuchte am Schluss, ihre Windel auf der Herdplatte zu trocknen.« So lange wie möglich hatten die Kinder ihrer damals 88-jährigen Mutter ein Leben im eigenen Haus ermöglicht. Essen auf Rädern, eine ambulante Pflegekraft, dann eine Tagespflege-Einrichtung - der Prozess der zunehmenden Hilflosigkeit verlief schleichend. Doch irgendwann mussten Brigitte Brandt und ihre Geschwister einsehen: So geht es nicht mehr. Die Mutter, Adelheid P., musste in eine stationäre Alteneinrichtung ziehen.

Die meisten Familien, die einen an Demenz erkrankten Angehörigen pflegen, kommen an diesen Punkt. Der oder die Erkrankte braucht 24 Stunden Betreuung, ist hilflos und kann sich selbst und andere gefährden. Hinzu kommen körperliche Probleme wie Inkontinenz und Diabetes. »Der Schritt, seinen Angehörigen in ein Heim zu geben, ist für die meisten Familien eine schwere Entscheidung«, weiß Frauke Paschko, Referentin für Beratung und Fortbildung des Ev. Johanneswerks. »Gleichzeitig haben sie das Gefühl, dass ihre Arbeit und ihr Einsatz nichts mehr Wert sind. Im Laufe der Jahre haben sie eine Pflegekultur mit Mutter oder Vater aufgebaut, zeitliche Abläufe oder kleine Rituale entwickelt. Plötzlich bestimmt das Pflegeheim, wie und wann Pflege und Betreuung stattfinden.« Eine schwierige Situation - sowohl für die Familien als auch für die Pflegekräfte.
Für die Mitarbeiter in den Einrichtungen bietet das Ev. Johanneswerk daher regelmäßig Fortbildungen zur »Partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Angehörigen« an. Dort lernen die Pflegekräfte, wie sie die Angehörigen in dieser schwierigen Zeit besser unterstützen können. Außerdem setzt der diakonische Träger in seinen Einrichtungen moderne Pflegekonzepte um, die auf eine Einbeziehung der Angehörigen setzen.
Ein Angebot, das gerne angenommen wird: »Das Hausgemeinschaftskonzept war das ausschlaggebende Argument, weshalb wir uns für das Dorothee-Sölle-Haus des Ev. Johanneswerks entschieden haben«, erzählt Brigitte Brandt. Zwölf Personen leben hier in einer Wohngruppe. Sie haben alle ihr eigenes Zimmer mit Bad. Mittelpunkt der Gemeinschaft ist jedoch die großzügige Wohnküche, in der jede Mahlzeit gemeinsam vorbereitet wird. »Nur satt und sauber, das wollte ich für meine Mutter nicht«, so die 66-jährige Brandt. »Hier nimmt sie am Leben teil wie in einer normalen Familie. Sie baut zwar immer weiter ab und kann bereits kaum noch sprechen, aber an Kleinigkeiten merke ich, dass sie ihre Umgebung wahrnimmt. Zum Beispiel wenn sie mit ihren Augen die Geschehnisse um sich herum verfolgt.«
Der Mutter die Vertrautheit und Geborgenheit einer Familie geben, heißt für Brigitte Brandt auch, beinahe jeden Abend beim Abendbrot im Dorothee-Sölle-Haus zu helfen, ihre Mutter zu waschen und sie ins Bett zu bringen. »Von den Mitarbeitern im Dorothee-Sölle-Haus bin ich dabei nie als Fremdkörper behandelt worden, hatte nie das Gefühl, lästig oder unerwünscht zu sein«, ist die engagierte Tochter begeistert. »Im Gegenteil, sie nehmen auch gerne Hinweise von mir an.« Dazu gehört, dass die Mitarbeiter sich zusammen mit den Angehörigen mit der Biografie der Bewohner beschäftigen. Welchen Hobbies sind sie früher gerne nachgegangen? Worauf haben sie besonderen Wert gelegt? Was war ihre Lieblingsmusik? »Das fand ich sehr wichtig,« bestätigt Brigitte Brandt. »Meine Mutter ist schließlich kein Roboter, sondern hatte ein Leben vor dem Heim, auch wenn sie jetzt nicht mehr selber davon erzählen kann.«
Damit sich eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Angehörigen und den Mitarbeitern entwickeln kann, müssen sich aber auch die Familien mit der Situation des Heimlebens auseinandersetzen. »Viele Angehörige reagieren ablehnend, da sie die Konfrontation mit kranken und pflegebedürftigen Menschen erschreckt. Die Ängste vor dem eigenen Tod und die Hilflosigkeit angesichts des zunehmend schlechteren Zustands des nahen Verwandten müssen erst verarbeitet werden«, so die Diplom-Pädagogin Paschko.

Artikel vom 25.11.2006