25.11.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Wort zum Sonntag

Heute von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann

Hans-Jürgen Feldmann ist Pfarrer im Ruhestand.
Davids Sohn Absalom konnte nicht abwarten, selber König zu sein. Er revoltierte gegen seinen Vater und verlor dadurch am Ende sein Leben. David jedoch, schwankend zwischen Zorn auf der einen Seite und noch stärkerer Vaterliebe auf den anderen, hatte geboten, ihn trotz allem zu schonen. Doch sein Oberbefehlshaber Joab mißachtete das und versetzte Absalom selbst den Todesstoß.
Als nun David vom Tod seines Sohnes erfuhr, heißt es: „Da erbebte der König und ging hinauf in das Obergemach ... und weinte, und im Gehen rief er: âMein Sohn Absalom! Mein Sohn, mein Sohn Absalom! Wollte Gott, ich wäre für dich gestorben! O Absalom, mein Sohn, mein Sohn!Ô“ Bis ins Körperliche erfaßte ihn der Schmerz; ja er selbst wurde zu einem einzigen Schrei. Das spiegelte sich auch im Verhalten seiner Umgebung. Man schlich sich davon, weil man spürte, daß die Gegenwart anderer ihm unerträglich wäre.
Trauer macht einsam. In ihr sind Menschen mit sich selbst allein wie beim eigenen Sterben. Man muß sich dies eingestehen. Zwar braucht sich niemand auf die Dauer vor allem zu verschließen. Das wäre krankhaft. Trotzdem hat menschlicher Beistand in der Trauer seine Grenzen.
Da ist aber noch mehr: David, der doch als Psalmendichter gilt, findet in dieser Situation kein Wort des Glaubens, nicht einmal eine Bitte um Kraft. Die mit diesem Sohn verbundenen Hoffnungen sind zerschlagen, und sein eigenes, schon gealtertes Leben erscheint ihm nur noch wertlos und seines Sinnes beraubt. Er wird auf diese innere Verfassung nicht für den Rest seiner Tage festgelegt bleiben. Aber es ist hilfreich zu sehen, wie gerade auch der Bibel nicht fremd ist, daß sich das Vertrauen auf Gott nicht immer als eine Kraftquelle erweist. Denn den Glauben hat man nicht ein für allemal.
Joab, unbeholfen und ruppig wie er nun einmal war, versuchte sich aber auch als Therapeut. Im Grunde allerdings überhäufte er seinen Herrn mit Vorwürfen und zieh ihn der Undankbarkeit gegenüber seinen Getreuen, die doch ihr Leben für ihn riskiert hatten. „Dir (ist an ihnen) nichts gelegen ... Wenn nur Absalom lebte und wir wären heute alle tot, das wäre dir recht.“
Doch das Erstaunliche: Diese brutale Zurechtweisung verfehlte ihre Wirkung nicht. Vielleicht waren es nicht einmal die Worte. Sondern David mag geahnt haben, daß Joab seinem Schmerz einen wichtigen Gesichtspunkt hinzufügt: Die Fixierung auf den Toten trübt den Blick für die Lebenden und für das, was sie geben und bedeuten. Ein Mensch kann überdies einer grenzenlosen Undankbarkeit anheimfallen und dabei vergessen, daß ihm auf Erden nichts wirklich gehört. Selbst der, den er am meisten liebt, ist nur ein Geschenk auf Zeit, und zum Leben gehört das Abschiednehmen.
Darüber hinaus gibt es einen größeren Verstehenshorizont, unter dem auch die Trauer gut untergebracht ist. Der wird sich auf die Dauer auch gegen das unfruchtbare Grübeln und die undurchdringliche Wand des Nichtverstehens durchsetzen. In einem dunklen Wort sagt deshalb der Apostel Paulus: „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.“ Solch ein Bekenntnis kann man zwar niemandem von vornherein plausibel machen. Aber jeder kann sich dafür öffnen; denn viele haben erfahren, daß Gott ihnen am nächsten war, als ihr Leben unter dem Zeichen der Passion und des Kreuzes Jesu Christi stand.
Im Geheimnis des Kreuzes liegt auch die Kraft der vergebenden Liebe. Die Trauer wird manchem ja noch schwerer durch das, womit er an einem anderen schuldig wurde und was er ihm schuldig geblieben ist. Auch David wird seinen Anteil an Schuld gegenüber seinem Sohn gehabt haben und nicht nur umgekehrt. Gottes Vergebung aber will verhindern, daß durch Schuld verursachte Wunden und Verletzungen unaufhörlich schmerzen. Menschen, die Gott schon in sein ewiges Licht geholt hat, sind darüber an Erkenntnis weiter als die noch Sterblichen. Sie konnten schon vergeben, weil ihnen vergeben ist (nachzulesen: 2. Sam. 15. 18 u. 19).

Artikel vom 25.11.2006