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Lehnte einen Rücktritt erneut ab: Roswitha Müller-Piepenkötter.

Auch in Siegen Häftling gequält

Justizministerin leitet Disziplinarverfahren gegen Gefängnischef ein

Düsseldorf (dpa). Nach Bekanntwerden einer weiteren Gewalttat in einem Gefängnis in NRW hat Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) ein Disziplinarverfahren gegen den Gefängnischef von Siegen eingeleitet.

Sie sei erst gestern informiert worden, sagte die Ministerin im Rechtsausschuss des Landtages. »Es steht außer Frage, dass der Anstaltsleiter verpflichtet gewesen wäre, diese Vorfälle zeitnah zu berichten. Dies ist nicht geschehen.« Eine Expertengruppe werde nun in allen Gefängnissen des Landes prüfen, ob es weitere Fälle gibt, die dem Ministerium nicht gemeldet wurden.
Knapp zwei Wochen nach dem Foltermord in Siegburg ist der neue Fall von Gewalt an einem Mithäftling in einem NRW-Gefängnis bekannt geworden. In der JVA Siegen soll ein Untersuchungs-Häftling von einem Gefangenen gezwungen worden sein, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Der 27-Jährige habe das gleichaltrige Opfer, das wegen Suizidgefahr in der Gemeinschaftszelle untergebracht war, zunächst geschlagen und beschimpft.
Anschließend habe er dem erst Stunden zuvor in U-Haft gekommenen Mann eine Rasierklinge in die Hand gedrückt und ihn zum Selbstmord aufgefordert, schilderte eine Sprecherin des Siegener Landgerichts gestern den Vorfall vom 24. Juli.
Stunden nach dem Terror durch den Mitgefangenen habe sich das Opfer im Toilettenraum der mit insgesamt sechs Häftlingen belegten Gemeinschaftszelle tatsächlich die Pulsadern aufgeschlitzt. Einer der Mitgefangenen hatte den Mann noch rechtzeitig gefunden und Hilfe gerufen. Bei der ärztlichen Versorgung hatte der 27-Jährige dann von den Vorfällen in der Zelle berichtet. Daraufhin wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Der Anstifter, der eine 40-tägige Haft wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe verbüßte, muss sich nun im Januar wegen besonders schwerer Nötigung und Körperverletzung vor dem Siegener Schöffengericht verantworten.
Die Ministerin lehnte vor dem Rechtsausschuss des Landtages in Düsseldorf erneut ab, ihr Amt niederzulegen. »Ich verstehe meine Verantwortung als Ministerin so: Lückenlose Aufklärung, Ahndung der Tat, Konsequenzen um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden«, betonte sie. Sie habe bereits ein Bündel vom Maßnahmen in die Wege geleitet, um die Situation in den Haftanstalten zu verbessern.
Die oppositionelle SPD warf der Ministerin vor, sie habe »nichts unternommen um den Fall Siegburg zu vermeiden«, obwohl ihr die Missstände in dem Gefängnis bekannt gewesen seien.
Der SPD-Abgeordnete Ralf Jäger bekräftigte, die SPD prüfe die Einberufung eines Untersuchungsausschusses. Die Grünen forderten die Ministerin zum Rücktritt auf, da sie nicht genug für die Aufklärung des Falls unternommen habe, der bundesweit eine Debatte über Mängel im Strafvollzug angestoßen hatte. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte die Bundesländer aufgefordert, mehr Personal mit besserer Ausbildung und besserer Bezahlung in den Jugendgefängnissen zu beschäftigen.

Artikel vom 24.11.2006